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Ein kalter Strom

Ein kalter Strom

Titel: Ein kalter Strom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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stolperte sie auf ihn zu. Voller Panik riss er die Waffe noch einmal hoch und ließ sie auf ihren Scheitel niedersausen. Diesmal sank sie ungelenk vor seinen Füßen zusammen. Er keuchte erleichtert, und ihm wurde schwindelig. Nach dem, was mit Schilling passiert war, genügte schon der geringste Fehlgriff, dass sich der Schreck fest wie eine Klammer um seine Brust legte. Aber es war in Ordnung, sagte er sich. Alles war in Ordnung.
    Er ging zur Tür und schob den Riegel vor, so dass sie eingeschlossen waren. Dann eilte er zum Schreibtisch und fegte Bücher und Papiere weg, die alle durcheinander auf dem Boden landeten. Er wandte sich Dr. Calvet zu und bückte sich, um sie aufzuheben. Sie war in seinen Armen leicht wie ein Kind, eine willkommene Abwechslung im Vergleich zu seinen drei ersten Opfern. Er legte sie mit dem Rücken auf den Schreibtisch und nahm die Stricke aus seiner Tasche. Es dauerte nur ein paar Augenblicke, Handgelenke und Knöchel an den Stahlbeinen des Tisches festzubinden. Mit dem Daumen hob er ein Augenlid. Sie war noch bewusstlos, er brauchte sie also nicht zu knebeln und hatte wieder alles unter Kontrolle.
    Er nahm das mörderische Rasiermesser seines Großvaters aus der Tasche und schnitt sorgfältig ihre Kleider weg. Es war kaum Fleisch an ihren Knochen. Wenn er Lust gehabt hätte, hätte er mit den Fingern über ihre Rippen fahren können wie über die Kugeln eines Abakus. Er trat kurz zurück und genoss ihre absolute Hilflosigkeit.
    Plötzlich spürte er Begierde in sich aufbrechen, eine Schwere im Blut, die ihm fast schwarz vor Augen werden ließ. Bis jetzt hatte er sich immer geweigert, zuzugeben, dass das zwanghafte, durch Adrenalin genährte Gefühl, das ihn durchfuhr, wenn er sich seinen Opfern gegenübersah, etwas mit Sex zu tun hatte. Für fleischliche Gelüste gab es hier keinen Raum. Sex war etwas für hinterher.
    Aber vielleicht hatte er sich geirrt. Er atmete tief ein und nahm den Hauch von Zitrone in ihrem Parfüm wahr, den der Körpergeruch ihrer nackten Haut überlagerte. Warum sollte er sich mit ordinären Huren abgeben, wenn er von seinen Opfern nehmen konnte, was er wollte? Hatten sie etwa diese letzte Demütigung nicht verdient, dass man ihnen Gewalt antat, so übel wie sie ihren eigenen Opfern mitgespielt hatten?
    Seine Hand stahl sich zum Hosenschlitz, die Finger zögerten am Reißverschluss. Plötzlich ertönte in seinem Kopf die laute Stimme seines Großvaters, sein Spott, der jeden anderen Gedanken blockierte.
»Du nennst dich einen Mann? Worauf wartest du, Junge? Hast du sogar vor einer Frau Angst, die sich nicht einmal wehren kann? Du bist doch nur gut genug für die Hafenschlampen, wie deine Mutter eine war.«
Er unterdrückte ein Schluchzen. Jetzt wurde seine Begierde dringender, unmöglich, sie nicht zu beachten. Er würde es dem alten Mann zeigen. Er griff in seine Jackentasche und zog eine Packung Kondome heraus, die er eigentlich für später bei sich trug. Fieberhaft – seine Gier machte ihn unbeholfen – riss er die Folie auf und zog sich das Kondom über das steife Glied. Dann lag er auf ihr und drang, gehindert von ihrer Trockenheit, unbeholfen in sie ein.
    Sie bewegte sich leicht. Ihre Augenlider zitterten, ließen das Weiße ihrer Augen sehen. Das war jetzt egal. Er hatte sie unter Kontrolle, sie konnte nichts machen. Er umschloss ihre Kehle und keuchte; er schien schneller zum Orgasmus zu kommen, als er für möglich gehalten hätte. Er sah ihre Speiseröhre sich verkrampfen, als sie nach Luft rang, aber er hielt sie schonungslos weiter fest.
    Jetzt hob sich ihre Brust, die Lunge kämpfte um Sauerstoff, damit das Herz weiterpumpen konnte. Ihre Augäpfel traten mit winzigen roten Pünktchen im Weißen hervor. Ihre tierhafte Angst zu sehen war wundervoll, denn er bewirkte dies alles. Plötzlich wurde ihr Körper schlaff, er kam sofort, und sein Rückgrat krümmte sich in einer gewaltigen Zuckung. Beim Erguss war es, als höbe sich ein Schleier von seinem Bewusstsein.
    Was hatte er getan? Er hatte es vermasselt, hatte sie schon getötet, bevor seine Aufgabe erledigt war.
    Wütend über sich selbst rollte er vom Tisch und stand schwer atmend mit aufgestemmten Fäusten da. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Er hatte einen Plan, eine Mission, und er hatte versagt. Jetzt hatte er sie getötet, aber nicht auf die richtige Art und Weise. Eine Welle der Verzweiflung erfasste ihn. Der alte Mann hatte Recht gehabt. Er war ein jämmerlicher Versager, ein

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