Ein kalter Strom
in die Straße einbog, wo sie wohnte, schlenderte er hinter ihr her und beobachtete, wie sie in ihr Apartmenthaus zurückging. Na ja, das war ein komplett verschwendeter Vormittag gewesen. Sie sollte Tadzio in einer Stunde treffen, und er schätzte, bis dann würde wohl kaum noch viel passieren. Zeit genug, jemand anderen auf sie anzusetzen. Krasic stieg wieder in den alten Opel und nahm sein Mobiltelefon heraus. Wenn mit Caroline Jackson etwas nicht stimmte, würde er es herausfinden. Aber jemand anders konnte von jetzt an die Arbeit auf der Straße erledigen.
Petra Beckers Ansehen stieg in Tonys Augen ständig. Sie hatte ihn um 9 Uhr 17 angerufen und ihm gesagt, dass ein Auto unterwegs sei, das ihn zum Flughafen Tempelhof bringen würde, von wo er die kurze Strecke nach Bremen fliegen und dort einen der Kripobeamten treffen könne, die an der Ermittlung des Falls Schilling arbeiteten. »Wie haben Sie das nur hingekriegt?«, sagte er noch ganz fertig, weil er so wenig geschlafen hatte.
»Ich habe gelogen«, sagte sie gelassen. »Ich habe gesagt, Sie seien ein führender Profilanalytiker des Innenministeriums, der jetzt zufällig mit Europol zusammenarbeitet, und dass wir ihnen sehr dankbar wären, wenn sie Ihnen auf alle erdenkliche Weise entgegenkommen könnten.«
»Sie sind eine erstaunliche Frau, Petra«, sagte er.
»Das haben schon andere gesagt, aber normalerweise nie Männer«, meinte sie trocken.
»Habe ich Recht mit der Annahme, dass noch niemand in Bremen diesen Fall mit dem Mord in Heidelberg in Verbindung gebracht hat?«
»Die Heidelberger hatten es so eilig, ihren ungelösten Mordfall an uns weiterzugeben, dass sie ihn der Presse als schäbigen Tod im Drogenmilieu statt einen Ritualmord verkauft haben. Außerhalb der Region hat er keine Schlagzeilen gemacht. Ich würde mich sehr wundern, wenn jemand in Bremen auch nur einen Zeitungsbericht über den Fall gelesen hätte.«
»Kommt man sich nicht komisch vor, wenn man die einzige Polizistin im ganzen Land ist, die diese Verbindung hergestellt hat?« Er konnte es nicht lassen, nachzubohren. So war es schon immer gewesen.
»Wollen Sie ehrlich hören, wie es ist?«
»Natürlich.«
»Es macht mich an. Klar, ich weiß, ich muss mich bei diesen Fällen letztendlich an die Regeln halten. Ich kann nicht weiter so tun, als seien wir in einem Film. Trotzdem macht es mir Spaß. Allerdings haben wir keine Zeit, über so etwas zu plaudern. Sie müssen Ihren Flug noch erwischen.«
Tony lächelte. Es war offensichtlich eine Ausflucht, aber das machte ihm nichts aus. »Danke, dass Sie alles organisiert haben.«
»Gern geschehen. Einen schönen Tag noch. Wir reden, wenn Sie wieder zurück sind, ja?«
»Ich dürfte ziemlich bald etwas für Sie haben, aber Wunder sollten Sie nicht erwarten«, sagte er zurückhaltend.
Sie lachte. »An Wunder glaube ich sowieso nicht.«
Der Beamte, der ihn in Bremen abholte, war ein untersetzter blonder Mann in den frühen Dreißigern mit schlechter Haut, der hervorragend Englisch sprach und sich als Berndt Haefs vorstellte: »Nennen Sie mich Berndt.« Er wirkte leicht gelangweilt, wie jemand, den nichts schockieren kann. Tony hatte das bei der Polizei schon öfter angetroffen. Besorgt machte ihn daran, dass das meistens weder als Pose noch als Abwehrmechanismus anzusehen war, sondern auf eine abgestumpfte Sensibilität hinwies, die jedes Einfühlungsvermögen vermissen ließ.
Und Berndt zeigte tatsächlich kein Anzeichen von Rücksichtnahme für die Frau, deren Tod er aufklären sollte, denn er nannte sie während der ganzen Fahrt nach Bremen nur »Schilling«. Tony bestand dagegen stur darauf, Margarethe ihren Doktortitel zuzugestehen.
Sie näherten sich der Stadt auf einer breiten Brücke über die angestiegene Weser, die als reißender Strom von der Farbe abgestandenen Biers dahinschoss. »Der Pegel ist sehr hoch«, sagte Tony, um die Stille zu überbrücken, die nach dem Versiegen von Berndts meistens irrelevantem, bruchstückhaftem Bericht zu dem Mord entstanden war.
»Es ist hier nicht so schlimm wie am Rhein oder an der Oder«, sagte Berndt Haefs. »Ich glaube nicht, dass es Hochwasser gibt.«
»Was ist mit den Schiffen? Wie kommen sie damit klar?«
»Na ja, überhaupt nicht. Sie haben nicht die nötigen PS bei dieser Strömung. Wenn das Wasser noch höher steigt, wird der Fluss gesperrt, bis der Wasserstand wieder fällt. Am Rhein ist es schon so weit. Die Schiffe liegen alle in den Hafenbecken und
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