Ein kalter Strom
Seitenarmen. Die Schiffer werden sich die Haare ausreißen bei dem Gedanken an das verlorene Geld, und die Mannschaften betrinken sich.«
»Also nicht besonders lustig für die Polizisten vor Ort.«
Berndt Haefs zuckte mit den Schultern. »Dann machen sie wenigstens keine Dummheiten«, sagte er kichernd in einer hohen Tonlage, die überhaupt nicht zu seinem untersetzten Körperbau passte. »Das da drüben ist der Dom«, fügte er unnötigerweise hinzu. Es war unmöglich, die beiden gleich hohen Türme zu übersehen. »Schilling war an dem Nachmittag, bevor sie starb, im Stadtzentrum. Sie aß allein in einem kleinen Lokal in der Nähe des Marktplatzes.«
»Sind wir hier weit von Dr. Schillings Haus entfernt?«, fragte Tony.
»Ungefähr zehn Minuten.«
»Konnte ihr Partner sich an den Angreifer erinnern, an irgendeine Einzelheit?«
»Der Freund? Ungefähr an so viel wie ein Eunuch nach einem Bordellbesuch. Er hat nichts gesehen und nichts gehört. Er weiß nur, dass ein fremder Wagen in der Einfahrt stand. Ein Golf, entweder schwarz oder dunkelblau. Also, er hat nicht einmal bemerkt, ob er eine Bremer Nummer hatte. Haben Sie eine Vorstellung davon, wie viel schwarze oder dunkelblaue Golfs es allein in Bremen gibt?«
»Ziemlich viele, würde ich annehmen.«
Berndt lachte. »So viele, dass wir uns überhaupt nicht zu überlegen brauchen, ob wir in diese Richtung ermitteln sollen.« Er bog in eine stille, mit Bäumen gesäumte Straße ein. »Hier fängt der Vorort an, wo sie lebte. Unser Mann muss hier entlanggekommen sein, es ist der einzig vernünftige Zufahrtsweg herein und hinaus.«
Tony sah aus dem Fenster und stellte sich die Straßen in der Dunkelheit vor. Die Häuser hatten kleine Vorgärten mit gepflegten Rasenstücken. Hinter den geschlossenen Haustüren spielte sich das Privatleben ab. Es bestand kein Grund dafür, dass jemand auf die dunklen Umrisse eines Wagens hätte achten sollen, der auf sein verhängnisvolles Ziel zufuhr. Er fragte sich, ob der Mörder die Gegend vor dem Verbrechen ausgekundschaftet hatte. Oft taten sie das, steckten ihr Gebiet ab, beobachteten ihr Opfer, machten sich kundig, wie es lebte und welche Lücke sein Tod reißen würde. Aber er hatte das Gefühl, dass Geronimo nicht diese Art von Täter war. Seine Bedürfnisse waren anderer Art.
Tony stellte ihn sich vor, wie er langsam die dämmerigen Straßen abfuhr, um sicherzugehen, dass er an den richtigen Stellen abbog. Es war eine komplizierte Route mit vielen Möglichkeiten, in einer Sackgasse zu landen. »Ich frage mich, ob er sich vielleicht verfahren und jemanden verärgert hat, weil er in seiner Einfahrt wendete?«
Berndt sah ihn an, als sei er übergeschnappt. »Sie meinen, wir sollen von Tür zu Tür gehen und nachfragen, ob sich jemand aufgeregt hat?«
»Wahrscheinlich sinnlos«, gab Tony zu. »Aber man weiß nie. Die Leute können sehr pedantisch sein, wenn es um ihr Grundstück geht, vor allem wenn Ortsfremde ihre Einfahrt öfter zum Wenden benutzen.«
Tony hatte Berndts Gesichtsausdruck schon bei anderen Polizisten gesehen. Es war die mimische Ausprägung des Gedankens, der ungefähr beinhaltete:
Verdammte Seelenklempner, haben doch keine Ahnung von der Arbeit der Polizei
. Er beschloss, den Mund zu halten und seine Ideen für Petra und Carol aufzuheben.
Der Wagen fuhr in eine kleine Straße mit einem Dutzend Häusern ein, die als Sackgasse in einem geteerten Halbkreis endete. Sie hielten in der Einfahrt eines Hauses an, das genau wie die anderen aussah, außer dass die Polizei es mit einem Absperrband über der Haustür versehen hatte. »Hier ist es.« Berndt stieg aus und ging auf das Haus zu, ohne abzuwarten, ob Tony hinter ihm war.
Tony blieb einen Moment beim Auto stehen und betrachtete die anderen Häuser in der Straße. Hätte jemand aus einem der Dutzend Fenster geschaut, so hätte er ihn gut sehen können. »Du hast also keine Angst, dich sehen zu lassen, Geronimo? Es macht dir nichts aus, wenn jemand einen Blick auf dich wirft. Du glaubst, so unbedeutend zu sein, dass sie sich an nichts erinnern werden.« Er nickte zufrieden und folgte Berndt Haefs, der an der Tür stand und mit verschränkten Armen ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden klopfte.
Sie gingen hinein und versuchten beide automatisch die Schuhe an der Matte abzustreifen, die nicht da war. »Die Spurensicherung hat sie mitgenommen. Als ob sie irgendeinen seltenen Dreck daran finden würden, den es nur in einem bestimmten Steinbruch
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