Ein kalter Strom
irgendwo im Ruhrpott gibt«, sagte Berndt sarkastisch. »Hier drin ist es passiert.« Er ging voraus in die Küche.
Unter der Staubschicht, die noch vom Abnehmen der Fingerabdrücke stammte, sah alles überraschend zivilisiert aus. Tony erinnerte sich sogar noch an den Tisch. Sie hatten dort gesessen und die Möglichkeit besprochen, gemeinsam einen Aufsatz zu schreiben, und dabei unzählige Tassen Kaffee und billigen Rotwein getrunken. Der Gedanke, dass dieser Tisch zur Bühne für Margarethes Tod geworden war, ließ ihm übel werden. Er ging im Raum umher und bemerkte, wie sauber und ordentlich alles war. Es sah nicht wie der Tatort eines brutalen Mordes aus. Weder gab es sichtbare Spuren von Blut noch Gerüche, die er sonst mit Gewalttaten in Verbindung brachte. Es war unmöglich, sich diese prosaische Küche als den Ort vorzustellen, wo eine so überlegte und zugleich grausame Tat verübt worden war.
»Nicht viel zu sehen«, sagte Berndt. »Bei den meisten Morden sieht es aus wie im Schlachthaus. Aber hier? Wenn man das Pulver abwischt, könnte man ohne weiteres Gäste bewirten.«
»Gibt es irgendwelche Hinweise, dass er noch irgendwo anders im Haus war?«
»Nach der Aussage des Freundes war nichts in Unordnung. Also, nein, er hat nicht ihre Wäscheschublade durchwühlt und sich auf dem Bett einen runtergeholt, wenn Sie das meinen.«
Tony fiel darauf keine höfliche Erwiderung ein. Statt zu antworten, ging er zum Fenster und blickte über den Garten auf den Wald dahinter hinaus.
»Dort war er auch nicht«, warf Berndt ein. »Wir haben nachgesehen, ob er sie vom Wald aus beobachtet hat, aber es gab kein Anzeichen, dass jemand in der Nähe des Zauns war.«
»Ich glaube nicht, dass er sie verfolgt und beobachtet hat. Nicht auf so direkte Art und Weise jedenfalls. Es war nicht ihre körperliche Anwesenheit, die ihn interessierte, sondern ihr Denken.« Er wandte sich um und lächelte Berndt zu. »Danke, dass Sie mit mir hier herausgekommen sind. Sie haben Recht, es gibt nicht viel zu sehen.«
»Kollegin Becker sagte, Sie wollten die Tatortfotos haben. Stimmt das?«
Tony nickte. »Wenn es möglich ist.«
»Sie bekommen noch Abzüge davon. Wir werden beim Präsidium vorbeigehen müssen, um sie abzuholen. Und wenn es dann nichts anderes mehr zu tun gibt, kann ich Sie zum Flughafen zurückfahren. Kurz nach zwei geht ein Flug, und wenn Sie den nicht schaffen, gibt es eine Stunde später wieder einen.« Kein Angebot, dass man zusammen zu Mittag essen könnte, vermerkte Tony. Die Zusammenarbeit mit Europol reichte offenbar nur bis zu einem gewissen Punkt.
»Das wäre schön.« Er lächelte. »Ich freue mich, wenn ich vor dem Tee wieder in Berlin sein kann.«
Berndt sah ihn an, als habe er gerade alles bestätigt, was er über diese exzentrischen Engländer dachte. Und genau das hatte Tony beabsichtigt. Wenn Berndt überhaupt etwas über diesen Besuch im Gedächtnis behalten sollte, war dies besser als irgendetwas anderes.
Petra kam mit federndem Schritt ins Büro. Bis jetzt lief die Operation gegen Radecki nach Plan. Und sie war sehr gespannt, was dieser Vormittag bringen würde. Selbst der Anblick des Hais, der düster auf seinen Bildschirm starrte, konnte ihre gute Laune nicht dämpfen.
»Was machst du?«, fragte sie und ging zu seinem Schreibtisch hinüber. »Ich dachte, ich hätte dir gesagt, du solltest Krasics Kumpel aufspüren.«
Er sah auf, und sein schmales, spitzes Gesicht war empört. »Das tu ich ja«, sagte er. »Jemand hat mir erzählt, Krasic hätte Verwandte in der Stadt, und ich versuche, sie über die offiziellen Verzeichnisse zu finden. Bei so etwas traut Krasic seiner Familie vielleicht mehr als seinen kriminellen Komplizen.«
Das war kein schlechter Einfall. Petra war überrascht und beeindruckt. Vielleicht konnten sie doch noch einen Ermittler aus ihm machen. »Gute Idee«, sagte sie. »Schon was Erfreuliches?«
»Bis jetzt nicht. Ich muss alles Mögliche durchchecken, es dauert eine Ewigkeit. Wie läuft deine Sache?«
»Gut.« Sie fuhr ihren Computer hoch und ging gleich in den Europol-Teil ihrer Datenbank. Hier kamen offizielle Bekanntmachungen aus Den Haag an. Zu ihrer Zufriedenheit gab es eine neue Nachricht von heute früh.
»Willst du Kaffee?«, fragte der Hai.
»Machst du welchen?«
»Werd ich wohl tun.«
»Dann nehme ich einen.« Sie öffnete die Mitteilungen. Am Anfang ging es um langweiligen Verwaltungskram. Sie ließ den Text weiterrollen, und auf der zweiten Seite
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