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Ein kalter Strom

Ein kalter Strom

Titel: Ein kalter Strom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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entschuldigend den Kopf. Heute sah er überhaupt nicht wie der seriöse Geschäftsmann aus, den sie bis jetzt zu Gesicht bekommen hatte. In Jeans, einem dicken Fischerpullover und einer über die Haare gezogenen Wollmütze ähnelte er den anderen Männern, die sie auf dem kurzen Gang vom Wagen zum Schiff auf ihren Booten gesehen hatte. Nur seine Hände verrieten ihn, denn sie waren glatt und hatten keine Schwielen von harter Arbeit. »Ich zeige Ihnen die Kajüte«, beharrte er und führte sie hinunter. Er trat zurück und wartete, bis sie sich umgesehen hatte.
    »Das ist ja ein Gedicht von einem Boot«, sagte Carol ehrlich.
    »Ich habe den Verdacht, dass es für jemanden gebaut wurde, der als Nazi in der Partei ganz oben war«, gab er zu. »Aber ich habe nie weiter nachgeforscht. Ich glaube, ich wüsste es lieber nicht so genau. Es würde mir alles verderben, wenn ich die Vergangenheit zu gut kennen würde.«
    »Ein bisschen wie bei einer Geliebten also«, sagte Carol mit einem herben Lächeln, das der Bemerkung die Koketterie nahm. Sie verstand die Ironie in seiner Feststellung sehr wohl. Dass er sein Geld verdiente, indem er die Not anderer Menschen ausnutzte, schien nur allzu offensichtlich. Sie fand es widerwärtig, dass Tadeusz sich als dem mutmaßlichen Vorbesitzer moralisch so überlegen darstellte. Aber eine solche falsche Selbsteinschätzung würde es ihr leichter machen, ihr hinterhältiges Spiel mit ihm zu treiben.
    »Vermutlich ja«, antwortete er amüsiert. »Also, ein Drink? Dann gehen wir an Deck, und ich kann den Reiseführer spielen.« Er öffnete eine der hölzernen Halbtüren, und ein winziger Kühlschrank mit Bier und Sekt kam zum Vorschein. »Er ist zu klein für normale Flaschen«, sagte er bedauernd und hielt eine Miniflasche Perrier-Jouët hoch. »Ist das recht?«
    Ein paar Minuten später saßen sie mit Sektgläsern in der Hand auf der Bank am Heck, während der Steuermann gemächlich aus dem Rummelsburger See hinaus auf die breiten Wasserflächen der Spree zulenkte. »Sprechen wir heute über Geschäfte, oder lernen wir uns nur besser kennen?«, fragte Carol.
    »Von beidem ein bisschen. Ich wollte Ihnen die Stadt aus einer anderen Perspektive zeigen und dachte, vielleicht könnten Sie mir noch etwas über Ihre Pläne erzählen.«
    Carol nickte. »Hört sich gut an.«
    Das Boot steuerte nach links und fuhr in eine Schleuse ein. Während sie warteten, bis sie passieren konnten, erzählte ihr Tadeusz allerhand über die Frachtschiffe. Wie sie während des Aufbaus am Potsdamer Platz zwanzigtausend Tonnen Bauschutt umschlugen. Wie eine routinemäßige Zollkontrolle die tote Frau eines Kahnführers zutage gebracht hatte, die in einem Kohlenbunker lag. Dass die Wasserschutzpolizei Entenwache genannt wurde.
    »Sie scheinen sich gut auszukennen mit dem Leben auf den Flüssen«, sagte Carol, als sie weiter durch Kreuzberg und auf den Tiergarten zufuhren. Die Bäume am Kanal waren blütenschwer und verliehen der Strecke, die ja ein Transportweg der Schlepper war, eine gewisse Romantik.
    »Ein Teil meiner Geschäfte steht mit den Wasserwegen in Verbindung«, sagte er vorsichtig. »Wie Sie selbst schon herausgefunden haben, weiß ich gerne, mit wem ich es zu tun habe, deshalb habe ich im Lauf der Jahre oft mit den Schiffern gesprochen. Das Boot macht es mir leichter, mich aus unverdächtigen Gründen unter ihnen aufzuhalten.«
    »Aber sicher fahren Sie doch nicht überall in Europa herum? Das würde ja eine Ewigkeit dauern.«
    »Gewöhnlich lasse ich das Boot über Land dorthin transportieren, wo ich es haben will. Dann fahre ich ein bisschen Boot und bin auch ein bisschen geschäftlich unterwegs.« Er lächelte. »Alles sehr harmlos, was?«
    »Sehr clever«, gab sie zu und freute sich, dass ihr Rollenspiel endlich anfing, Ergebnisse in Form von Information zu bringen.
    Als sie weiter den Kanal entlang- und dann zurück in die Spree fuhren, machte Tadeusz sie auf verschiedene Wahrzeichen der Stadt aufmerksam. Im Westhafenkanal wies er auf das rechte Ufer hin. »Das ist Moabit. Nicht unbedingt der netteste Teil von Berlin, fürchte ich. Es hat dort Revierkämpfe zwischen den Albanern und den Rumänen gegeben, die darum stritten, wer seine Prostituierten wo arbeiten lassen darf. Kleine Gauner, nicht die Art von Leuten, die uns interessieren.«
    »Was mich interessiert, ist Angebot und Nachfrage«, sagte Carol. »Sie können mich mit dem beliefern, was ich brauche, und ich kann die Papiere besorgen, für

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