Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein kalter Strom

Ein kalter Strom

Titel: Ein kalter Strom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
Vom Netzwerk:
nicht? Aber obwohl ihre Rolle verlangte, dass sie das Gefühl genoss, eine Autobahn mit einer Geschwindigkeit entlangzuflitzen, die bei weitem alles übertraf, was sie innerhalb der gesetzlichen Grenzen in England hätte erleben können, war ihre Reaktion doch keineswegs eindeutig. Carol war mit Caroline verschmolzen, aber sie wusste, wer letztendlich die Kontrolle hatte.
    Tadeusz hatte sie um halb elf abgeholt, nachdem er angerufen und ihr gesagt hatte, sie solle sich warm, aber sportlich kleiden, sich aber scherzend geweigert hatte, ihr zu sagen, warum. Als sie auf die Straße trat und ihn hinter dem Steuerrad des schwarzen Z8 mit heruntergeklapptem Dach sitzen sah, hatte er ihre dünne Jacke über dem Pullover betrachtet und die Lippen geschürzt. »Das habe ich befürchtet«, sagte er, ging zum Kofferraum, holte eine dicke, mit Schaffell gefütterte Bomberjacke heraus und gab sie ihr. »Die dürfte dir passen, glaube ich.«
    Carol nahm sie behutsam. Sie war nicht neu. Die Falten am Ellbogen zeigten das. Sie zog ihre eigene Jacke aus und schlüpfte in die Ärmel der Schaffelljacke. Er hatte Recht. Sie passte so genau wie nur etwas aus ihrer eigenen Garderobe. Sie bemerkte den schwachen Duft eines schweren Parfums, das sie nie getragen hätte. Mit einem gequälten Lächeln sah sie zu Tadeusz auf. »Hat sie Katerina gehört?«, fragte sie.
    »Es macht dir doch nichts aus?«, sagte er besorgt.
    »Solange es dich nicht stört.« Carol verbarg ihr Unbehagen hinter einem Lächeln. Dass sie ein Kleidungsstück von Katerina trug, war irgendwie entnervend und gruselig. Es gab ihr das Gefühl, als ob sich irgendwo in Radeckis Kopf die Grenzen zu verwischen begannen. Und das bedeutete für sie auf die eine oder andere Weise fast mit Sicherheit Gefahr.
    Er schüttelte den Kopf und öffnete die Beifahrertür für sie. »Ich habe fast alle ihre Kleider weggebracht, aber ein oder zwei Dinge, in denen ich sie so gern sah, habe ich behalten. Ich wollte nicht, dass dir heute kalt ist, und es schien weniger dreist, als etwas für dich zu kaufen.«
    Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf die Wange. »Das ist sehr aufmerksam. Aber, Tadzio, du brauchst dich nicht für mich verantwortlich zu fühlen. Ich bin selbst groß und habe eine Platinkarte. Du brauchst mir nicht vorzugreifen und zu erraten, was ich brauchen könnte. Ich bin daran gewöhnt, für mich selbst zu sorgen.«
    Er akzeptierte den sanften Tadel. »Das habe ich auch nie bezweifelt«, sagte er und ließ sie einsteigen. »Aber manchmal musst du dich doch ein bisschen verwöhnen lassen, Caroline.« Er zwinkerte ihr zu und ging zum Fahrersitz hinüber.
    »Wohin fahren wir denn?«, fragte sie, als sie den Ku’damm hinunter auf die Ringstraße zufuhren.
    »Du hast gesagt, du wolltest sehen, wie ich meine Geschäfte abwickle«, sagte Tadeusz. »Gestern hast du die vorzeigbare Seite gesehen. Heute werde ich dir vorführen, wie wir unsere Waren befördern. Wir fahren in Richtung Magdeburg.«
    »Was ist in Magdeburg?«
    »Du wirst schon sehen.«
    Schließlich verließ Tadeusz die Autobahn, bog, ohne auf die Karte zu sehen, mehrmals ab, und so erreichten sie eine ruhige Landstraße, die sich zwischen Bauernhöfen hinschlängelte. Nach etwa zehn Minuten endete die Straße am Ufer eines Flusses. Er stellte den Motor ab und sagte: »Hier sind wir.«
    »Wo ist das – hier?«
    »Das Ufer der Elbe.« Er wies nach links. »Ein Stück weiter vorn ist der Mittellandkanal.« Er machte die Tür auf und stieg aus. »Lass uns zu Fuß gehen.«
    Sie folgte ihm auf einem Pfad am Fluss entlang, auf dem viele Frachtschiffe von der Größe langer, mit Containern beladener Lastkähne fuhren, bis hin zu kleinen Schiffen, die nur ein paar Kisten oder Säcke transportierten. »Es ist viel los auf dem Fluss«, äußerte sie und ging jetzt neben ihm.
    »Genau. Du weißt ja, wenn die Leute sich den Transport illegaler Güter vorstellen, seien es Waffen, Drogen oder Menschen, dann denken sie immer an die schnellste Möglichkeit. Flugzeuge, Lastwagen, Autos. Aber es gibt keinen zwingenden Grund für Geschwindigkeit. Man transportiert ja keine leicht verderblichen Waren. Und das Schmuggeln fing eigentlich sowieso auf dem Wasser an«, sagte Tadeusz. Als der Kanal in Sicht kam, nahm er ihre Hand in seine.
    »Dies hier ist einer der Knotenpunkte der europäischen Wasserwege«, erklärte er. »Von hier aus kann man nach Berlin oder Hamburg kommen. Aber man kann auch viel, viel weiter fahren.

Weitere Kostenlose Bücher