Ein kalter Strom
wurden.«
Dr. Wertheimer runzelte die Stirn. »Die Universitätsdozenten?«, fragte sie scharfsinnig. Erstaunt starrte Tony sie an. »Sie haben heute früh noch keine Zeitungen gesehen?« Sie stand auf und wühlte in einer großen Einkaufstasche neben ihrem Schreibtisch. Dann zog sie
Die Welt
heraus und schlug sie auf. »Können Sie Deutsch lesen?«, fragte sie.
Er nickte, denn er traute nach wie vor seiner Stimme nicht. Sie gab ihm die Zeitung und setzte sich wieder auf ihren Sessel, während er las. Die Schlagzeile war deutlich genug. Drei Morde – gibt es einen Zusammenhang
? Der Artikel schilderte, dass innerhalb der letzten zwei Monate drei Universitätsdozenten, sämtlich Psychologen, unter verdächtigen Umständen tot aufgefunden worden seien. Die Polizei wolle die näheren Umstände nicht preisgeben und habe nur mitgeteilt, dass man alle als Mordfälle betrachte. Der Verfasser stellte dann Überlegungen an, ob dies das Werk eines Serienmörders sein könne, obwohl er bei der Polizei niemanden gefunden habe, der diese Theorie bestätigte.
»Ich kann mir denken, dass es in der Presse noch mehr Artikel geben wird«, sagte Dr. Wertheimer, als Tony zu Ende gelesen hatte. »Ich glaube kaum, dass sie unterdrückt werden. Also sind Sie deswegen zu unserem Archiv gekommen?«
Tony nickte. »Es tut mir Leid, dass ich nicht offener mit Ihnen gesprochen habe, aber wir haben versucht, dies vor der Öffentlichkeit geheim zu halten.«
»Das kann ich mir vorstellen. Kein Polizeibeamter arbeitet gern im grellen Scheinwerferlicht des Fernsehens. Also, was hoffen Sie hier zu erreichen?«
»Wir müssen unsere Verdächtigenliste reduzieren. Monotone, langweilige Polizeiarbeit, unter anderem das Vergleichen verschiedener Listen. Für die Beamten, die es tun müssen, ist es öde und zeitaufwendig, aber wenn wir ein Resultat bekommen, könnte es Leben retten. Meine Analyse der Verbrechen lässt mich annehmen, dass jemand in der Familie des Mörders das Opfer psychologischer Folter war. Ich habe gehört, dass Sie die Unterlagen der Kinder haben, die entweder durch Euthanasie getötet wurden oder mit denen Naziärzte experimentierten. Ich hoffe, dass es irgendwo in Ihren Archiven eine Liste der Überlebenden gibt.«
Dr. Wertheimer hob die Augenbrauen. »Das war vor langer Zeit, Dr. Hill.«
»Ich weiß. Aber ich glaube, unser Mörder ist wahrscheinlich Mitte zwanzig. Es ist möglich, dass sein Vater ein Überlebender war. Oder er wurde vielleicht von einem Großvater oder einer Großmutter großgezogen, der oder die unter den Menschen litt, die solche Institutionen wie diese hier betrieben.«
Sie nickte zustimmend. »Es scheint ziemlich weit hergeholt, aber ich verstehe, dass Sie sich an jeden Strohhalm klammern, wenn Sie einen solchen Mörder der Gerechtigkeit zuführen wollen. Also, eine Gesamtliste wie die, von der Sie sprechen, haben wir nicht.«
Tony konnte seine Enttäuschung nicht verbergen. »Ich verschwende also Ihre und meine Zeit?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, natürlich nicht. Wir haben einzelne Listen für jede der Institutionen, die mit diesem Programm zu tun hatten. Es gab hauptsächlich sechs Zentren, wo die Euthanasie durchgeführt wurde, aber in jedes kamen Kinder aus mehreren Institutionen. Von allen diesen haben wir Unterlagen.« Sie sah seinen bestürzten Blick und lächelte. »Bitte, Sie brauchen nicht zu verzweifeln. Die gute Nachricht ist, dass alle unsere Daten in Computern erfasst sind, und so ist es relativ leicht, auf sie zuzugreifen. Normalerweise würde ich darauf bestehen, dass Sie die Suche hier auf unserem Gelände durchführen, aber mir ist klar, dass es hier um besondere Umstände geht. Vielleicht könnten Sie Frau Becker anrufen und sie bitten, dass Sie mir eine Verfügung durchfaxt, die es mir erlauben würde, Ihnen aufgrund einer Vertraulichkeitsvereinbarung Papierkopien unserer Akten zu geben?«
Tony konnte kaum glauben, dass er solches Glück hatte. Endlich einmal hatte er in der Bürokratie jemanden gefunden, der ihm keine Hindernisse in den Weg legen wollte. »Das würde mir außerordentlich helfen«, sagte er. »Gibt es hier ein Telefon, von dem aus ich anrufen kann?«
Dr. Wertheimer deutete auf ihren Schreibtisch. »Bitte.« Er folgte ihr durch das Zimmer und wartete, während sie die Faxnummer aufschrieb. »Ich denke, es wird eine Weile dauern, bis sie die nötige Vollmacht bekommt, aber wir können inzwischen schon mal anfangen. Ich werde gehen und eine meiner
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