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Ein kalter Strom

Ein kalter Strom

Titel: Ein kalter Strom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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Und nach allem, was sein Onkel Darko über Radecki gesagt hatte, führte der Mann nicht gerade das Leben eines Mönchs. Er war etwas überrascht, als kurz nach zehn Uhr Radeckis vertrauter schwarzer Mercedes vor dem Gebäude vorfuhr, dann aber sehr erstaunt, dass Caroline Jackson wenige Minuten später allein herauskam.
    Er war dem Mercedes zurück zu ihrer Wohnung gefolgt und hatte das große Glück, direkt gegenüber einen Parkplatz zu finden, als sie gerade hineinging. Er beschloss zu warten, bis er Licht angehen sah, um dann seinen Onkel in der Hoffnung anzurufen, dass er nach Hause und zu Bett gehen konnte. Rado stieg aus dem Wagen und stellte sich in den dunklen Eingang eines Blumenladens, damit er das Haus besser im Auge behalten konnte.
    Die Minuten verstrichen, und es erschien kein Licht hinter ihren Fenstern, die er genau kannte. Was war los? Er wusste von seinen früheren Beobachtungen, dass im Wohnzimmer ein Lichtschein vom Flur zu sehen war, sobald sie das Apartment betrat. Und doch blieb alles dunkel. Hatte er einen Fehler gemacht? Er zählte die Fenster im ersten Stock von der Ecke an, um sicherzugehen.
    Und da sah er sie. Unverwechselbar. Aber sie war am falschen Ort. Statt im dritten Stock war sie im ersten. Und sie war mit einem Mann zusammen, der eindeutig nicht Tadeusz Radecki war. Er beobachtete, wie sie offensichtlich in ein Gespräch vertieft aufeinander zugingen. Dann umarmten sie sich.
    Die Schlampe war direkt von Radeckis Wohnung in die Arme dieses anderen Mannes geeilt. Rado nahm sein Telefon heraus. Dies war etwas, was sein Onkel erfahren musste. Und zwar sofort.
    Krasic war innerhalb von zwanzig Minuten da. In seiner Ungeduld, herauszufinden, ob Caroline Jackson wirklich etwas tat, was sie nicht tun sollte, hatte er jede gelbe Ampel am Ku’damm überfahren. Er parkte vor einer Garageneinfahrt und rannte die Straße entlang zum Beobachtungspunkt seines Neffen. »Was ist los?«, fragte er.
    Rado zeigte auf den rechteckigen Lichtstreifen im ersten Stock. »Da waren sie. Sie und dieser Typ. Tadeusz’ Fahrer hat sie abgesetzt, aber in ihrer Wohnung ging kein Licht an. Und dann sah ich sie mit ihm am Fenster des ersten Stocks. Sie redeten miteinander, haben geknutscht, und dann sind sie verschwunden. Ich würde also schätzen, dass sie zusammen im Bett sind, meinst du nicht?«
    »Ich hab ihm gesagt, dass er ihr nicht trauen soll«, knurrte Krasic. »Welche Nummer hat denn diese Wohnung?«
    »Es ist zwei Etagen tiefer als ihre. Wenn sie in 302 wohnt, muss seine 102 sein.« Während er noch sprach, kam der Mann wieder in Sicht. »Das ist er, Onkel. Das ist der Mann, bei dem sie war«, rief er aufgeregt und zeigte zum Fenster hinauf, wo Tony von einer Seite zur anderen ging und dann wieder verschwand.
    Krasic versetzte Rados Arm einen brutalen Schlag und stieß ihn zur Seite. »Verdammt noch mal, Rado, willst du, dass die ganze Straße uns sieht?«
    Rado fasste an seinen Arm und krümmte sich vor Schmerz. »Tut mir Leid, Onkel.«
    »Schon gut. Du hast ja gute Arbeit geleistet, hast die Schlampe gesehen. Jetzt müssen wir noch herausfinden, wer ihr Geliebter ist. Es wird bis morgen früh warten müssen.« Er sprach mehr zu sich selbst als mit seinem Neffen. Krasic starrte wie ein Mondsüchtiger mit gespanntem, finsterem Gesicht zum Fenster hinauf.
    Die Zeit verstrich. Rado war nervös, aber Krasic stand unbeweglich wie ein Felsblock. Seine Militärausbildung hatte ihn gelehrt, wie wichtig es war, dass man beobachten konnte, ohne gesehen zu werden. Damals hing sein Leben davon ab. Er fragte sich, ob das vielleicht wieder so sein würde.
    Endlich wurde seine Geduld belohnt. Caroline Jackson in ihrer frappierenden Ähnlichkeit mit der schönen Katerina Basler war mit niemand sonst zu verwechseln. Sie stand nahe am Fenster und bewegte den Mund wie beim Sprechen, ohne dass etwas zu hören war. Dann war der Mann plötzlich wieder da, direkt neben ihr. Seine Hände umfassten ihr Gesicht, und er hielt sie fest, als sie sich küssten. Das war kein freundschaftlicher, flüchtiger Gutenachtkuss, dachte er. Als sie sich voneinander lösten, zerwühlte Caroline sein Haar, eine Geste unbeschwerter Zärtlichkeit. Dann verschwanden beide aus Krasics Gesichtsfeld.
    Ein paar Minuten später erschien der Mann wieder, ging zum Fenster und sah hinaus. Krasic drängte Rado noch weiter in den dunklen Eingang zurück und drückte ihn gegen die Ladentür. Aber als der Mann zum Himmel hinaufblickte, gab es kein Anzeichen,

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