Ein kalter Strom
dass er sie gesehen hatte.
Dem Onkel über die Schulter schauend, sagte Rado: »Siehst du, jetzt ist sie wieder in ihrer Wohnung.« Ein Licht ging zwei Etagen höher an. Während sie sie beobachteten, zog die Frau, die sie als Caroline Jackson kannten, die Vorhänge vor.
Fünf Minuten später drehte der Mann der Straße den Rücken zu und löschte das Licht. »Geh nach Haus, Rado«, wies Krasic ihn an. »Es wird morgen früh für dich Arbeit geben. Ich ruf dich an, wenn ich weiß, was wir machen.«
Als der Junge wegging, sah er ihm nach und war froh, dass er geistesgegenwärtig genug gewesen war, die hinterlistige Schlampe weiter überwachen zu lassen. Was immer sie mit dem Mann im ersten Stock vorhatte, es war jedenfalls nichts, das sie Tadzio erzählt hatte. Seiner Erfahrung nach hieß das, es musste etwas sein, das sie nicht wissen sollten.
Krasic mochte es nicht, wenn andere Leute Geheimnisse hatten. Soweit er wusste, bedeutete das Gefahr. Sehr bald würde er das Geheimnis ans Licht bringen, das Caroline Jackson in Apartment 102 verborgen hielt.
Kapitel 33
D er Hai hatte nicht übertrieben, als er von den Schweinen erzählte, dachte Petra grimmig, während sie auf dem Bauch voranrutschend unter einer Dornenhecke in einem lehmigen Graben lag. Der Gestank war überwältigend, und sie schienen sich tatsächlich absichtlich in ihre Richtung zu drehen, bevor sie mit einem zufriedenen Grunzen furzten. Nicht erwähnt hatte er die Ratten. Sie war schon einer begegnet, hatte sich plötzlich ihren glänzenden Knopfaugen gegenübergesehen und hätte schwören können, dass sie spürte, wie sie über ihre Beine huschte. Beim bloßen Gedanken daran lief es ihr eiskalt über den Rücken.
Bevor Plesch eine groß angelegte Befreiungsaktion für Tanja Krebs genehmigte, hatte sie darauf bestanden, dass das, was der Hai gesehen hatte, erhärtet werden musste. »Ich bezweifle nicht Ihre Fähigkeiten«, hatte sie gelogen. »Aber man macht leicht einen Fehler, oder man sieht statt der Tatsachen das, was man sehen will. Bevor wir also ein großes Theater abziehen, will ich, dass Petra rausgeht und bestätigt, dass das Mädchen dort festgehalten wird. Wenn Sie Recht haben, werden wir eine offizielle Überwachung starten und eine Geiselbefreiung vorbereiten.«
Sie hatte Plesch noch nie so gut gelaunt gesehen. Ohne Ausflüchte hatte sie sogar Petras Vorschlag zugestimmt, dass sie Marlene in ein Zeugenschutzprogramm aufnehmen, schnell vorgehen und die Durchsuchung mit Radeckis Verhaftung in Rotterdam koordinieren sollten. Selbst die Ratten und Schweine konnten Petras Gefühl des unmittelbar bevorstehenden Triumphes nicht beeinträchtigen.
Und trotz Marijkes Pessimismus konnte sie die Empfindung nicht unterdrücken, dass sie in Bezug auf den Serienmörder Fortschritte machten, die teilweise Tony Hill zu verdanken waren. Er war ein seltsamer Typ, dachte sie. Offensichtlich hatte es in der Vergangenheit irgendeine Geschichte zwischen ihm und Carol gegeben. Wenn einer über den anderen sprach, waren beide immer leicht verlegen, und Carol war viel entspannter, seit er in Berlin war. Na ja, sie wünschte den beiden Glück. Sie wusste, welchen Unterschied es machte, eine Beziehung mit einem Partner zu haben, mit dem man sich beruflich gut verstand.
Sie änderte ihre Position, achtete aber darauf, sich kaum zu bewegen, als sie das Fernglas vor die Augen hielt. Seit Stunden war sie schon hier, und es war nichts passiert, außer dass der alte Matic die Schweine gefüttert hatte. Sie starrte das schwere alte Mutterschwein an, das zielbewusst auf sie zusteuerte, und hielt die Luft an.
Wenigstens regnete es nicht.
Noch nicht.
Tony lag auf dem bequemen Bett und genoss das kühle, weiße Laken an seiner Haut. Er konnte sich nicht erinnern, wann er zum letzten Mal ein solches Gefühl von Ruhe und Frieden empfunden hatte. Bestimmt nicht während der Ermittlungen zu einer Mordserie. Aber heute früh fühlte er sich wie ein Schwimmer, der nach einem nicht enden wollenden Kampf mit den Wellen endlich das Ufer erreicht hat. Seit er Carol kennen gelernt hatte, bemühte er sich, die Gefühle zu verstehen, die sie in ihm auslöste. Zuerst hatte er versucht, sie einfach abzuleugnen, da er wusste, dass er unfähig war, ihr die sexuelle Befriedigung zu geben, die sie verdiente. Dann hatte er die Beziehung als »Freundschaft« ausgeben wollen, weil er befürchtete, dass ihre Zusammenarbeit ihr Verhältnis mit einer zu großen emotionalen Bürde
Weitere Kostenlose Bücher