Ein kalter Strom
Verkehrspolizisten, und wir haben ein Foto des Autos, ein schwarzer Golf mit Hamburger Nummer. Manns Adresse ist ein Schiff. Die
Wilhelmina Rosen
. Ich habe bei einer Schiffsregistratur nachgefragt. Es ist ein großes Rheinschiff, sie sind überall in Europa unterwegs. Was meinst du dazu? Lohnt es sich, dem weiter nachzugehen? Ich bin unschlüssig, ob ich die Polizei in Köln anrufen soll, dort wird man glauben, ich sei verrückt. Wenn du mir bestätigst, dass es sich lohnt, die Sache weiterzuverfolgen, habe ich eine Liste von möglichen Orten in und um Köln herum, wo ein Rheinschiff liegen und abwarten könnte, bis das Wasser fällt.
Du kannst mich anrufen, denke ich.
Sie hatte Recht, er sollte sie anrufen, aber vorher musste er etwas herausfinden. Er griff in seine Reisetasche und holte die Papiere von Schloss Hohenstein heraus. Wenn Mann der Mörder war, war es natürlich möglich, dass die Person, die ihm die Qualen zugefügt hatte, nicht den gleichen Familiennamen trug. Sein Großvater mütterlicherseits zum Beispiel würde wahrscheinlich einen ganz anderen Namen tragen. Aber wenn er Glück hatte, gab darüber vielleicht irgendeine erhellende Querverbindung Aufschluss.
Hastig ließ er den Blick über die alphabetisch geordneten Listen gleiten. Es war ein ziemlich landläufiger Name, und er fand acht Kinder, deren Zuname Mann war. Fünf schied er gleich aus. Sie waren aufgrund von geistiger oder körperlicher Behinderung der Euthanasie anheim gefallen. Ein sechstes Kind, Klaus, war innerhalb von zwei Wochen, nachdem es in eines der Beschickungskrankenhäuser in Bayern eingeliefert wurde, an Lungenentzündung gestorben. Gretel, die siebte, war nach Hohenschönhausen eingewiesen worden, aber die Unterlagen sagten nichts weiter über sie aus. Der achte Name fiel ihm auf: Albert Mann aus Bamberg war im Alter von acht Jahren nach Schloss Hohenstein gebracht worden, nachdem bei ihm chronisches asoziales Verhalten festgestellt wurde. Der einzige Kommentar zur Therapie war
Wasserraum
.
Tony nahm den Hörer und wählte die Nummer, die Marijke ihm gegeben hatte. »Marijke?«
»Ja?«
»Hier Tony Hill. Ich habe deine E-Mail bekommen.«
»Meinst du, da ist etwas dahinter?«
»Ich glaube, es steckt sehr viel dahinter. Es passt sehr gut zu einer Entdeckung, die ich gerade in den Unterlagen von Schloss Hohenstein gemacht habe. Kannst du mir eine Liste von Orten schicken, an denen ich in Köln suchen sollte? Ich versuche einen Flug zu bekommen und werde dort einen Wagen mieten.«
»Okay, ich maile dir die Liste sofort.«
»Meinst du nicht, du solltest jetzt deine deutschen Kollegen darauf hinweisen?«, fragte er.
»Ich will wirklich sichergehen. Und es ist immer noch mein Fall. Wenn ich und Petra nicht wären – und du, natürlich –, dann gäbe es gar keine Ansätze für diese Ermittlung. Ich glaube, wir haben das Recht, diese Suche selbst durchzuführen. Und ich möchte dir für alles danken, was du für uns tust«, sagte sie in gutem, aber etwas gestelztem Englisch.
Tony dachte, dass es kaum etwas gab, was wirkungsvoller war als nackter Eigennutz. Aber er fand das nicht verwerflich. Wenn es einen Serienmörder dingfest zu machen galt, war es nach seiner Erfahrung in der Endphase immer besser, die Gruppe so begrenzt zu halten wie möglich. »Hör zu, ich habe schon lange nichts mehr mit so lebhaftem Interesse verfolgt. Ich sollte euch danken. Ich halte dich auf dem Laufenden.«
Es waren noch keine fünfzehn Minuten vergangen, da eilte er mit dem über die Schulter gehängten, schaukelnden Laptop aus seiner Wohnung. Er hatte vierzig Minuten Zeit, um zum Flughafen zu kommen, wo er einen Flug nach Bonn nehmen wollte. Glücklicherweise erwischte er fast sofort ein Taxi.
Er war so aufgeregt, dass er gar nicht daran dachte, zu überprüfen, ob ihm jemand folgte.
Carol wusste nicht, wann sie zum letzten Mal so lange geschlafen hatte. Sie war kurz vor Mitternacht ins Bett gesunken, von ihren Gefühlen ganz ausgelaugt, aber noch aufgedreht und erregt, so dass sie glaubte, sie würde stundenlang wach liegen. Aber trotzdem war sie eingeschlafen, sobald ihr Kopf auf dem Kissen lag, und als sie die Augen aufschlug, war es schon nach zehn.
Sobald ihr klar wurde, dass die Uhr nicht am Abend vorher stehen geblieben war, sprang sie auf und rannte in die Dusche. Sie hatte über den gestrigen Tag noch kein einziges Wort berichtet, und es würde Stunden dauern. Wenn das so weiterging, würden Morgan und Gandle überzeugt
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