Ein kalter Strom
wäre anders gewesen.«
»Verzweifeln Sie nicht. Er ist wahrscheinlich noch am Leben. Petra wird ihn rausholen.«
Carol drückte die Hand der anderen Frau. »Marijke, selbst wenn er lebend aus der Sache herauskommt, gibt es keinerlei Chance, dass wir zusammen sein können. Nicht nach dem, was Radecki heute Abend mit mir gemacht hat. Außerdem war ich es, die ihn hierher gebracht hat, das wissen Sie ja. Wenn ich ihn nicht gebeten hätte, zu kommen, wäre er jetzt zu Hause. Sicher und gesund.«
Es gab nichts mehr zu sagen, dachte Marijke. Zumindest jetzt nicht. Sie hatte im Lauf der Jahre zu viele Vergewaltigungsopfer gesehen, um jetzt mit Plattitüden aufzuwarten.
Petra holte tief Luft und machte sich auf den Weg, sie ging schnell, aber lautlos zu der Stelle, wo sie die Lichter hatte ausgehen sehen. Der leere Mercedes stand vor einem kleinen Gebäude mit Wänden und Dach aus Wellblech. In der Mitte der Frontseite war eine große Tür auf Rollen, in die auf einer Seite eine kleine Holztür eingelassen war. Zwischen ihnen und der Tür war nichts, hinter dem man hätte Deckung nehmen können, aber es gab auch keine Fenster, von denen aus sie zu sehen wären.
Sie duckte sich und rannte, ihre Turnschuhe machten kaum ein Geräusch auf dem Asphalt. Sie drückte sich seitlich von der Tür flach an die Wand, Morgan und der Einsatzleiter des Sonderkommandos stellten sich auf der anderen Seite auf. Petra bewegte sich langsam auf die Tür zu und legte das Ohr daran. Nichts. Sie schüttelte den Kopf. Der Einsatzleiter zwinkerte ihr zu und nahm einen kleinen Handbohrer aus einer seiner vielen Taschen, presste ihn gegen die Tür und bohrte behutsam. Selbst Petra, die direkt neben ihm stand, hörte nichts.
Nachdem er das Loch gemacht hatte, steckte er ein kleines Mikrofon hinein und gab ihr einen einzelnen Kopfhörer. Radeckis Stimme ertönte jetzt laut und deutlich in ihrem Ohr, als ob jemand einen Schalter angeknipst hätte. »… Sie töten werde? Nicht weil Sie mich angelogen haben, sondern weil Ihre Leute Katerina getötet haben. Sie hatte nichts Unrechtes getan, außer dass sie mich liebte.« Petra riss sich den Kopfhörer ab.
»Er ist da drin. Tony ist da drin. Radecki stößt Drohungen gegen ihn aus. Wir müssen jetzt reingehen.«
Er nickte. »Zurücktreten.«
Petra sprang zurück, als er seine halbautomatische Maschinenpistole zog und das Schloss in der Tür mit einem einzigen Schuss herausschoss. Er trat die Tür auf und rannte hinein. Sie war sofort hinter ihm, zum zweiten Mal an diesem Abend hatte sie die Pistole im Anschlag. Sie hatte keine Ahnung, wo Morgan war, und es war ihr auch egal.
Sie gewann sofort den richtigen Überblick. Radecki drehte sich um, die Pistole in der Hand, und sah sie an. Krasic, der auf der anderen Seite stand, griff hinter sich und sah dann verblüfft und erschrocken aus. Tonys weißer, nackter und gefesselter Körper lag zwischen Radecki und ihnen. »Bewaffnete Polizei, legen Sie Ihre Waffen ab!«, brüllte eine Stimme. Sie erkannte geschockt, dass es ihre eigene war.
Auf Radeckis Gesicht erschien panischer Schrecken. Er gab einen Schuss ab, der nirgends in ihre Nähe kam. Petra zielte, und ihr Gesichtsfeld konzentrierte sich auf einen kleinen Brennpunkt. Aber bevor sie abdrücken konnte, kam ein anderer Schuss aus einer automatischen Waffe. Rot spritzte Blut in verschiedene Richtungen aus Radeckis Beinen, und er stürzte schreiend, während seine Pistole außer Reichweite zu Boden polterte.
Aus dem Augenwinkel sah Petra, wie Krasic auf den Einsatzleiter des Sonderkommandos zielte. Sie fuhr herum und gab ohne zu überlegen einen Schuss ab. Er traf den Serben in den Bauch, und er fiel sofort zu Boden.
Petra stand wie erstarrt, der Schuss hallte in ihren Ohren, und der Korditgeruch stieg ihr in die Nase. Radecki schrie noch immer wie ein Schwein, während Krasic gurgelnde Laute wie ein halb verstopfter Abfluss von sich gab. Dann hörte sie jemanden laufen und die Stimme des Hais, der sich beklagte: »Scheiße, ich komm doch immer zu spät zur Action.«
»Wir brauchen Krankenwagen, Hai. Ich will nicht, dass die zwei Kerle verbluten. Geh und ruf die Sanitäter. Und am besten auch gleich die Kripo«, sagte Petra matt. Sie ließ die Pistole zu Boden fallen und ging wie in Trance zu Tony hinüber. Neben ihm setzte sie sich in die Hocke, streifte ihre Jacke ab und legte sie ihm um die Schultern. Sein Gesicht sah schlimm aus, wenn auch nicht so übel zugerichtet wie das von Carol.
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