Ein kalter Strom
erkannte die meisten Möbelstücke, die Bilder an der Wand, die Bücher, die im Arbeitszimmer aufgereiht standen.
Sogar der Anrufbeantworter ist da
, dachte sie mit einem leichten Schaudern, als die Erinnerung sie überfiel.
»Hast dich wohl ganz gut eingelebt«, sagte sie nur.
Er zuckte mit den Schultern. »In Inneneinrichtung bin ich nicht besonders gut. Ich bin mit einem Eimer weißer Farbe durchgegangen, dann habe ich all die alten Sachen reingestellt. Glücklicherweise hat das meiste gepasst.«
Nachdem sie sich bei einer Tasse Kaffee im Arbeitszimmer niedergelassen hatten, verschwand die momentane Befangenheit, und die alte Gelöstheit, die sie von früher kannte, kam zurück. Während Tony die Anweisungen las, die Morgan ihr am Morgen per Kurier geschickt hatte, kauerte sie auf einem abgenutzten Sessel und blätterte in der Auswahl guter Zeitschriften von
New Scientist
bis
Marie Claire
. Er hatte immer eine seltsame Palette von Publikationen gelesen, erinnerte sie sich erfreut. In seiner Wohnung war sie nie ohne interessanten Lesestoff gewesen.
Tony machte sich beim Lesen in einem auf der Sessellehne aufliegenden Block Notizen. Hin und wieder runzelte er die Stirn, und gelegentlich bewegte sich sein Mund, ohne die Fragen auszusprechen. Die Anweisung war nicht besonders lang, aber er las sie langsam und sorgfältig, und am Ende blätterte er wieder zum Anfang zurück und las sie noch einmal durch. Endlich hob er den Blick. »Ich muss zugeben, ich bin ratlos«, sagte er.
»Weswegen hauptsächlich?«
»Weil sie von dir so etwas verlangen. Es ist so weit außerhalb deines Erfahrungsbereichs.«
»Das hab ich auch gedacht. Ich muss wohl annehmen, dass meine Erfahrung oder meine Fähigkeiten irgendetwas aufweisen, das den Mangel an direkter Agentenarbeit ausgleicht.«
Tony strich sich das Haar aus der Stirn, eine vertraute Geste. »Das wäre auch meine Vermutung. Die Anweisungen selbst sind eigentlich relativ einfach. Die Drogen beim Belieferer abholen, das Paket gegen Geld übergeben und dieses Geld deinem ersten Kontaktmann aushändigen. Natürlich werden sie dabei quer schießen, denke ich. Sonst würde es nichts bringen.«
»Es soll ein Test meiner Fähigkeiten sein, es ist also wahrscheinlich, nehme ich an, dass ich mich auf Unerwartetes gefasst machen muss.« Carol ließ die Zeitschrift sinken, die sie las, und zog die Beine an. »Wie soll ich es also anpacken?«
Tony betrachtete seine Notizen. »Es gibt zwei Aspekte – den praktischen und den psychologischen. Was meinst du?«
»Das Praktische ist leicht. Ich habe vier Tage, um mich vorzubereiten. Ich kenne die Adresse, wo ich das Päckchen abholen soll, und die Gegend, wo ich es übergeben soll. Ich werde mich also mit dem Haus vertraut machen, wo ich wegen des Geldes hinmuss. Dann werde ich die verschiedenen Routen von A nach B so gut auskundschaften, dass ich sie kenne wie meine Westentasche. Ich muss in der Lage sein, ohne zu überlegen auf jeden Zufall zu reagieren, der mir in die Quere kommen kann. Und ich muss planen, was ich anziehen werde und wie ich mein Äußeres leicht verändern kann, um einen eventuellen Beobachter zu verwirren.«
Er nickte zustimmend. »Aber manche Aspekte der praktischen Durchführbarkeit hängen von den psychologischen Gegebenheiten ab.«
»Und das ist der Teil, den ich nicht im Griff habe. Deshalb bin ich hier. Um das Orakel zu befragen.« Carol salutierte mit scherzhaft-respektvollem Gruß.
Er lächelte spöttisch. »Ich wünschte, meine Studenten hätten solche Ehrfurcht vor meinen Fähigkeiten.«
»Sie haben dich nicht in Aktion gesehen. Sonst würden sie ihre Einstellung ändern.«
Sein Mund wurde zu einem schmalen, grimmig entschlossenen Strich, und sie sah einen Schatten in seinen Augen, der vorher nicht da gewesen war. »Ja, nur zu«, sagte er nach kurzer Pause. »Schließen Sie sich mir an, und Sie werden Höllenkreise sehen, die Dante sich nie hätte vorstellen können.«
»So geht’s eben zu in unserem Arbeitsgebiet«, sagte Carol.
»Deshalb halte ich mich da auch nicht mehr auf.« Er sah weg, und sein Blick richtete sich auf die Straße unter dem Fenster. Er holte tief Luft. »Also, du musst wissen, wie du dich in eine andere Person hineinversetzen kannst, stimmt’s?« Er wandte sich mit einem gekünstelten Ausdruck der Heiterkeit zu ihr um.
»Ich muss in ihre Haut schlüpfen.«
»Okay. Fangen wir also an: Wir beurteilen Menschen nach dem Aussehen, nach dem, was sie tun und was sie sagen. Alle
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