Ein kalter Strom
dämmrigen Nachmittagslicht. Entsetzen stieg wie Galle in ihm hoch. Er war überzeugt, dass er zumindest kastriert werden würde, trat dem alten Mann mit geballten Fäusten entgegen und versuchte verzweifelt, dem zu entkommen, was ihn erwartete.
Er hatte den Schlag nicht einmal gesehen, der ihn wie ein Hammer an der Schläfe traf. Nur einen Moment lang spürte er einen vernichtenden Schmerz, dann war er bewusstlos. Als er die Augen öffnete, war es dunkel. Etwas getrocknetes Erbrochenes war über seine Wange auf den Boden geflossen, und ein brennender Schmerz in der Leistengegend machte ihm solche Angst, dass das dumpfe Pochen im Kopf dagegen unwichtig war. Zusammengekrümmt lag er einige lange Minuten still auf dem kalten Linoleum und hatte Angst, seine Hände tasten zu lassen, weil er sich vor dem fürchtete, was sie vielleicht finden würden.
Schließlich wagte er es. Seine Finger fuhren langsam und vorsichtig über den Bauch nach unten. Zuerst fühlte er nur die kalte, glatte Haut seines Bauchs. Dann, gerade über dem Schambein, fühlte es sich plötzlich anders an, und ein durchdringender, stechender Schmerz ließ ihn die Luft anhalten. Er biss die Zähne zusammen und drückte sich auf einem Ellbogen hoch. Es war zu dunkel, um etwas zu sehen, und er beschloss, das Risiko einzugehen und das Licht anzumachen. Das mochte neuen Zorn über ihn bringen, aber er konnte es nicht ertragen, nicht zu wissen, was mit ihm passiert war.
Fast weinend wegen der verschiedenen Schmerzen, die ihm diese Bewegung bereitete, gelang es ihm, sich hinzuknien und innezuhalten, bis die Übelkeit und der Schwindel vorbeigingen. Am Tisch zog er sich auf die Füße hoch und taumelte die paar Schritte zum Schalter der Küchenlampe. Er lehnte sich gegen die Wand und drückte mit zitternden Fingern den Schalter hoch. Mattes, gelbes Licht erfüllte den schmuddeligen Raum, und er machte sich auf den Anblick gefasst.
Die Haut um die Geschlechtsorgane war rot und wund. Zusammen mit der oberen Hautschicht war jede Spur des Schamhaars entfernt. Wo das Rasiermesser tiefer eingedrungen war, waren kleine Blutstropfen, aber das grausame Abschaben der empfindlichen Haut war die Ursache des brennenden Schmerzes, der in seinen Lenden raste. Es war mehr als eine Rasur, ihm war die Haut abgezogen worden. Er war gewaltsam daran erinnert worden, dass er sich nicht für einen Mann halten sollte. Damals hasste er sich, die Schmach verschluckte ihn wie eine schwarze Woge.
Als er jetzt zurückblickte, wurde ihm klar, dass sein panisches Aufbegehren ein Wendepunkt war. Von da ab war sein Großvater weniger darauf aus gewesen, ihm Qualen zuzufügen. Der alte Mann begann einen gewissen Abstand zu ihm zu halten und erniedrigte ihn nur mit Worten, die den Jugendlichen immer noch in ein zitterndes, ohnmächtiges Häufchen Elend verwandelten. Er dachte daran, wegzulaufen, aber wohin? Die
Wilhelmina Rosen
war seine Welt, und er glaubte nicht daran, in einer anderen Welt überleben zu können. Nach und nach, als er in die Zwanziger kam, begriff er, dass es vielleicht eine andere Möglichkeit geben könnte, die Freiheit zu erringen. Es war ein langsamer, schmerzlicher Prozess gewesen, und am Ende hatte er gewonnen.
Aber dieser Sieg hatte ihm nicht genügt. Er wusste das schon, bevor Heinrich Holtz im Biergarten seine Geschichte erzählte. Doch Holtz hatte ihn auf eine Idee gebracht, wie er sich endlich rächen konnte. Er hatte ihm einen Weg gewiesen, ein Mann zu werden.
Er nahm eines der Gläser, schwenkte es herum und beobachtete den Inhalt bei seinem makabren, langsam kreisenden Tanz. Lächelnd öffnete er den Reißverschluss seiner Jeans.
Tadeusz Radecki war viel zu klug, um nichts weiter als ein Gangster zu sein. Er hatte eine ordnungsgemäße Kette von Läden mit Videoverleih aufgebaut, die ihn nicht nur mit einem vorzeigbaren Einkommen versorgte, um das Finanzamt bei guter Laune zu halten, sondern die ihm auch den Spielraum gab, beträchtliche Geldbeträge waschen zu können. Hätten seine Konkurrenten jemals die Geschäftsbücher seiner Firma gesehen, dann hätten sie sich gefragt, wie er es schaffte, so hohe Leihgebühren pro Video einzustreichen, und hätten wahrscheinlich vor lauter Ärger ihre eigenen Marketingleute hinausgeworfen. Aber das würde nicht passieren. Tadeusz achtete darauf, dass sein offizielles Gewerbe über jeden Tadel erhaben war. Die Videoläden in den zwielichtigen Gassen mit ihren Hardcore-Pornos unter dem Ladentisch oder den
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