Ein kalter Strom
Drogenpäckchen, die in den Videohüllen weitergegeben wurden, das war nichts für ihn. Es mochte seine Ware sein, mit der sie handelten, aber offiziell wollte er auf keinen Fall mit ihnen in Verbindung gebracht werden.
An diesem Nachmittag hatte er seinen besten Laden, sein Flaggschiff oben am Ku’damm, besucht, wo sie genauso viele Videos verkauften, wie ausgeliehen wurden. Er war hingegangen, um die Renovierung zu begutachten, die die elegantesten Ladenausstatter der Stadt durchgeführt hatten, und war von dem Ergebnis beeindruckt. Klare Linien, stimmungsvolle Beleuchtung und ein Stehcafé mitten im Geschäft schufen das perfekte Ambiente, in dem man sich gemütlich umsehen und Geld ausgeben konnte.
Nach der Besichtigung der Räume ging der Geschäftsführer mit ihm zu seinem Büro hinauf, wo sie die Renovierung mit einem Glas Wein begossen. Als sie eintraten, war im Fernsehen ein Nachrichtensender eingestellt. Ein Reporter stand auf einer Straße, die Tadeusz sofort als die Friesenstraße in Kreuzberg erkannte. Hinter ihm war unverkennbar das vierstöckige Gebäude zu sehen, in dem das Untersuchungsgefängnis, die Gefangenen-Sammelstelle oder so genannte GeSa, untergebracht war. Tadeusz kannte den Ort nicht aus eigener Erfahrung, sondern nur, weil er nebenan in der Krimibuchhandlung Hammett immer seine Lektüre kaufte.
Der Mund des Reporters ging geräuschlos auf und zu, sein besorgtes Gesicht zeigte, wie ernst das war, was er der wartenden Welt zu sagen hatte. Dann wechselte das Bild zu einem Stück Amateurvideo, auf dem ein Mann zu sehen war, der aus einem Auto gezerrt und, flankiert von zwei Polizisten in Uniform, auf die schwere graue Tür der GeSa zugeführt wurde. Plötzlich duckte sich eine Frau unter der Absperrung durch, die die Autos davon abhielt, direkt von der Straße in den Hof zu fahren. Die Polizisten, die im Wachhäuschen Dienst taten, kamen nichts ahnend erst heraus, als die Frau hinter dem Gefangenen und seinen Begleitern herrannte und etwas vor sich in der Luft schwenkte. Sie blieb etwa zwei Meter entfernt von ihnen direkt hinter dem Gefangenen stehen. Im nächsten Augenblick war sein Kopf blutrot wie ein Klecks auf dem Küchentisch verschütteter Spaghettisauce. Die Polizisten traten zur Seite, als er zusammenbrach. Sie warfen sich zu Boden und drehten die blassen Gesichter der Frau zu. Selbst aus der großen Entfernung konnte man die vor Panik weit aufgerissenen Augen erkennen.
Tadeusz starrte entsetzt auf den Bildschirm. Er hatte das Opfer der Scharfschützin nur ein paar Sekunden und auch nur im Dreiviertelprofil gesehen. Aber er wusste, wer der Tote war. Dann merkte er, dass der Geschäftsführer etwas zu ihm gesagt hatte, und wandte sich ihm zu. »Bitte?«, fragte er.
»Ich sagte, es ist komisch, dass die wirklichen Schießereien nie auch nur halb so dramatisch sind wie die von uns verkauften.« Er nahm die offene Flasche Rotwein von seinem Schreibtisch und goss zwei Gläser ein.
»Ich glaube nicht, dass ich jemals eine wirkliche Schießerei gesehen habe«, log Tadeusz. »Ich bin ziemlich schockiert, dass man das so ausführlich in den Abendnachrichten zeigt.«
Der Geschäftsführer lachte und reichte seinem Chef das Glas. »Ich bin sicher, dass die Moralapostel der Nation augenblicklich, während wir hier noch sprechen, die Telefonleitungen des Senders mit Beschwerden überrennen werden. Prost, Tadeusz. Es war eine gute Entscheidung, diese Typen zu beauftragen. Sie haben den Laden wirklich gut hergerichtet.«
Automatisch hob Tadeusz sein Glas und griff mit der anderen Hand nach dem Mobiltelefon. »Ja. Jetzt muss ich eine Möglichkeit finden, die Kosten für die Renovierung der anderen Geschäfte zu rechtfertigen. Entschuldige mich.« Mit zwei Tasten wählte er Krasics einprogrammierte Nummer. »Ich bin’s«, sagte er. »Wir müssen uns treffen. Ich sehe dich in einer halben Stunde bei mir.« Er beendete das Gespräch, ohne auf Krasics Antwort zu warten, und nippte dann an seinem Wein. »Köstlich, Jürgen, aber ich fürchte, ich muss los. Meine Hausmacht ausbauen, neue Geschäftsbereiche erobern, du weißt ja, wie es ist.«
Zwanzig Minuten später ging er vor seinem Fernseher auf und ab und schaltete von Kanal zu Kanal auf der Suche nach einem Lokalsender, der die Aufnahmen von Kamals Ermordung zeigte. Endlich erwischte er das Ende des Videos und stellte sofort lauter. Der Nachrichtensprecher berichtete: »Der Tote, dessen Name noch nicht bekannt gegeben wurde, war im
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