Ein Kampf um Rom
Wissen, zum Teil euren Staat, in welchem alles so streng geordnet
ist. Wir können vieles von euch lernen – aber tauschen könnt’ ich und möcht’ ich mit keinem Volk von Engeln. Ha, meine Goten!
Im Grund des Herzens sind mir ihre Fehler lieber als eure Tugenden.«
»Wie ganz anders empfinde ich, und bin doch ein Römer!«
»Du bist kein Römer! vergib, mein Freund, es gibt schon lange keine Römer mehr. Sonst wär’ ich nicht der Seegraf von Neapolis!
So wie du kann nur empfinden, wer eigentlich kein Volk mehr hat. So wie ich muß jeder fühlen, der eines lebendigen Volkes
ist.«
Julius schwieg eine Weile.
»Und wenn dem so ist,– wohl mir! Heil, wenn ich die Erde verloren, den Himmel zu gewinnen. Was sind die Völker, was ist der
Staat, was ist die Erde? Nicht hier unten ist die Heimat meiner unsterblichen Seele! Sie sehnt sich nach jenem Reiche, wo
alles anders ist als hier.«
»Halt ein, mein Julius«, sprach Totila, stehenbleibend, die Lanze auf den Boden stoßend. »Hier, auf Erden, hab’ ich festen
Grund, hier laß mich stehn und leben, hier nach Kräften das Schöne genießen, das Gute schaffen nach Kräften. In deinen Himmel
kann und will ich dir nicht folgen. Ich ehre deine Träume, ich ehre deine heil’ge Sehnsucht – aber ich teile sie nicht. Du
weißt«, fügte er lächelnd hinzu, »ich bin ein Heide, unverbesserlich, wie meine Valeria – unsere Valeria. Zur rechten Stunde
denk’ ich ihrer. Deine erdenflücht’gen Träume ließen uns am Ende des Liebsten auf Erden vergessen. Sieh, wir sind zur Stadt
zurückgekommen, die Sonne sinkt so rasch hier im Süden, und ich soll noch vor Nacht die bestellten Sämereien in den Garten
des Valerius bringen. Ein schlechter Gärtner«, lächelte er, »der seiner Blume vergäße. Leb wohl – ich biege rechts hinab.«
»Grüße mir Valeria. Ich gehe nach Hause, zu lesen.«
»Was liesest du jetzt? Noch Platon?«
»Nein, Augustinus. Lebe wohl!«
Zweiundzwanzigstes Kapitel
Rasch eilte Totila durch die Straßen der Vorstadt, die belebteren Teile der Innenstadt meidend, nach der Porta Capuana zu
und dem Turm Isaks, des jüdischen Pförtners. Der Turm, unmittelbar zur Rechten des Tores, mit starken Mauern und massiv gewölbtem
Dach erbaut, erhob sich in mehreren sich verjüngenden Absätzen. In dem höchsten Stockwerk, dicht an den zackigen Zinnen, waren
zwei niedre, aber breite Gelasse zur Wohnung des Türmers bestimmt.
Dort hausten der alte Jude und Miriam, sein dunkelschönes Kind. In dem größern Gemach, wo an den Wänden in strenger Ordnung
die großen, schweren Schlüssel zu den Haupttüren und den Nebenpforten des wichtigen Torgebäudes, das krumme Wächterhorn und
der breite, hellebardengleiche Speer des Pförtners hingen, saß mit gekreuzten Beinen auf rohrgeflochtener Matte Isak, der
greise Turmwart: eine hohe, starkknochige Gestalt mit der Adlernase und den buschigen, hochgeschweiften Brauen seiner Rasse.
Er hielt einen langen Stab zwischen den Knien, und aufmerksam hörte er den Worten eines jungen, unansehnlichen Mannes, offenbar
auch eines Israeliten, zu, in dessen harten, nüchternen Zügen der ganze Rechnerverstand des jüdischen Stammes lag.
»Sieh, Vater Isak«, schloß er mit unschöner, klangloser Stimme, »meine Rede ist keine eitle Rede, und meine Worte kommen nicht
aus dem Herzen allein, das blind ist, sondern aus dem Kopf, der da ist sehend. Und hier hab’ ich mit mir gebracht Brief und
Urkund für jedes Wort meines Mundes: hier meine Bestallung als Baumeister für alle Wasserleitungen von Italien, jährlich fünfzig
Goldsolidi und für jedes neue Werk zehn Solidi besonders. Eben erst hab’ ich wiederhergestellt die zerfallne Wasserleitung
dieser Stadt Neapolis; hier in diesem Beutel sinddie zehn Goldstücke, richtig bezahlt. Du siehst, ich kann ernähren ein Weib; zudem bin ich Rachels, deiner Muhme, leiblicher
Sohn. So laß mich nicht reden umsonst und gib mir Miriam, dein Kind, daß sie bestelle mein Haus.«
Aber der Alte strich seinen grauen langen Kinnbart und schüttelte langsam das Haupt.
»Jochem, Sohn Rachels, mein Sohn – ich sage dir, laß ab, laß ab.«
»Warum? was kannst du haben gegen mich? Wer mag reden wider Jochem in Israel?«
»Niemand. Du bist gerecht und still und fleißig und mehrest deine Habe, und dein Werk gedeiht vor dem Herrn. Aber hast du
gesehn, daß sich die Nachtigall paart mit dem Sperling oder die schlanke Gazelle mit dem Lasttier? Sie
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