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Ein Kapitän von 15 Jahren

Ein Kapitän von 15 Jahren

Titel: Ein Kapitän von 15 Jahren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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gewiß eine wichtige Rolle!… Und diese… ja, ich sehe auch diese nicht!…«
    Eine unnennbare Angst kam über Dick Sand. Daß die gefangen gehaltene Mrs. Weldon ihm nicht sichtbar ward, ließ sich am Ende erklären. Harris und Negoro aber – vorzüglich der Letztere – mußten doch alle Ursache haben, den jetzt in ihrer Gewalt befindlichen Leichtmatrosen wiederzusehen, und wäre es nur, um sich ihres Triumphes zu freuen, um ihn zu insultiren, zu quälen und sich an ihm zu rächen. Sollte er aus ihrer Abwesenheit den Schluß ziehen, daß sie eine andere Richtung eingeschlagen und Mrs. Weldon nach einem anderen Punkte Afrikas entführt hätten? Selbst wenn die Gegenwart Harris’ und Negoro’s nur das Signal zu seiner Bestrafung wäre, so hätte er sie doch herbeigewünscht weil ihm das die Gewißheit gab, daß Mrs. Weldon und ihr Kind sich gleichfalls hier befänden.
    Dick Sand erinnerte sich auch, daß Dingo seit der Nacht, da er ihm das Billet von Herkules überbrachte, nicht wieder erschienen sei. Eine auf gut Glück fertig gemachte Antwort, durch welche er Herkules empfahl, nur an Mrs. Weldon zu denken, sie nie aus dem Gesichte zu verlieren und sich möglichst von allem Vorgehenden unterrichtet zu erhalten, hatte er nicht an den Ort ihrer Bestimmung befördern können. Wenn Dingo es einmal glücklich ausführen konnte, bis in die Reihen der Karawane heranzuschleichen, warum ließ ihm Herkules es nicht ein zweites Mal versuchen? War das treue Thier bei einem solchen mißglückten Versuche umgekommen, oder hatte sich Herkules, indem er Mrs. Weldon’s Spuren nachging, wie es Dick Sand gewiß selbst gethan hätte, in die Tiefen des bewaldeten Plateaus Inner-Afrikas verirrt, in der Hoffnung, vielleicht irgend eine Factorei anzutreffen?
    Was konnte Dick Sand darüber denken, wenn wirklich weder Mrs. Weldon noch ihre Entführer hier waren? Er hatte sich – vielleicht also doch mit Unrecht – so versichert gehalten, sie in Kazonnde wiederzufinden, daß er es gleich einem furchtbaren Schlage empfand, sie jetzt nicht zu sehen. Es ergriff ihn ein Gefühl von Verzweiflung, das er kaum zu bemeistern vermochte. Sein Leben hatte für ihn, wenn er damit Denen, an welchen er mit voller Liebe hing, nicht mehr nützen konnte, auch keinen Werth mehr; dann wünschte er sich fast den Tod herbei. Aber wenn er also dachte, so kannte er doch seinen eigentlichen Charakter blutwenig. Unter den wuchtigen Schicksalsschlägen war das Kind zum Manne herangereift und seine augenblickliche Entmuthigung hatte nur die Bedeutung eines der menschlichen Natur unverweigerbaren Tributs.
    Da erdröhnte ein furchtbares Concert von Fanfaren und wildem Geschrei. Dick Sand, der sich in den Sand der Tchitoka niedergelassen hatte, erhob sich sofort wieder. Jedes neue Ereigniß konnte ihn ja auf die Spuren der Gesuchten führen. Der eben Verzweifelnde hoffte jetzt schon wieder.
    »Alvez! Alvez!« diesen Namen rief eine Menge Eingeborener und Soldaten, welche nach dem weiten Platze hereinströmten. Der Mann, in dessen Hand das Loos so vieler Unglücklichen lag, sollte endlich erscheinen. Möglicher Weise begleiteten ihn seine Agenten Harris und Negoro. Dick Sand stand aufrecht, mit weit geöffneten Augen. Die beiden Verräther sollten den jungen, fünfzehnjährigen Matrosen hier ungebeugt, fest, Auge in Auge vor sich sehen. Der Kapitän des »Pilgrim« war nicht geschaffen, vor dem früheren Schiffskoch zu zittern!
    Am Ende der Hauptstraße zeigte sich ein Hamac, eine Art Kitanda, mit ausgeflicktem, verschossenem und da und dort in Fetzen flatterndem Sonnendache. Ein bejahrter Neger stieg aus demselben, das war der Sklavenhändler Jose-Antonio Alvez.
    Einige Diener, welche mit wichtiger Miene umherflunkerten, begleiteten den Gebieter.
    Gleichzeitig mit Alvez erschien sein Freund Coïmbra, ein Sohn des Generals Coïmbra aus Bihe und, nach Lieutenant Cameron’s Bericht, der größte Strauchdieb der Provinz, ein schmutziger, sittenloser Kerl, mit wildem, krausem Haar, gelbem Gesichte und bekleidet mit einem zerlumpten Hemd und einem Rocke aus Schilf. Man hätte unter seinem aus den Nähten gegangenen Strohhute eher ein altes, abschreckendes Weib gesucht. Dieser Coïmbra, war der Vertraute Alvez’, eine ihm verschriebene Seele, der Organisator der Razzias und das würdige Subject, die Banditen des Sklavenhändlers zu befehligen.
    Letzterer selbst sah vielleicht etwas weniger schmutzig aus als sein Ebenbild in der Verkleidung eines alten Türken am Morgen

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