Ein Kapitän von 15 Jahren
Gedanke, daß es ihm jetzt vielleicht nicht allzu schwer fallen könnte, seine Arme gänzlich frei zu machen. Da er in einem sicher verwahrten Gefängniß noch überdem streng bewacht war, erreichte er damit zwar nicht mehr, als daß er sich wenigstens von einer Marter befreite, aber in mancher Lebenslage gewinnt auch die geringste Erleichterung einen unschätzbaren Werth.
Gewiß hegte Dick Sand kaum einen Schimmer von Hoffnung. Menschliche Hilfe konnte ihm ja nur von außen kommen, aber wie sollte er auf solche rechnen? Er hatte sich also ergeben in sein Schicksal. Im Grunde war ihm das Leben jetzt werthlos. Er gedachte nur Derer, die ihm im Tode vorausgegangen, und ihn erfüllte die Sehnsucht, diese in einer besseren Welt wiederzusehen. Negoro behauptete ja ebenso wie Harris, daß Mrs. Weldon und der kleine Jack umgekommen seien. Dazu war es nur gar zu wahrscheinlich, daß auch Herkules den ihn rings bedrohenden Gefahren erlegen sei und ein schreckliches Ende gefunden habe. Tom und seine Gefährten waren jetzt weit, weit entfernt und, wie Dick Sand annehmen mußte, ihm für immer verloren. Auf etwas Anderes zu hoffen, als auf das Ende seiner Leiden durch einen Tod, der ja nicht furchtbarer sein konnte als ein solches Leben, wäre eine offenbare Thorheit gewesen. Er bereitete sich also vor, zu sterben, empfahl sich der Gnade des Höchsten und bat nur um den Muth, bis an’s Ende ohne Schwachheit auszuharren. Nicht vergebens erhebt man aber seine Seele zu Dem, der ja Alles vermag, und als Dick Sand sein schweres Opfer dargebracht, fand er im Grunde seines Herzens doch noch ein Fünkchen Hoffnung, ein Fünkchen, das ein Hauch von oben, trotz aller Unwahrscheinlichkeit eines erhofften Ausganges, doch noch zur leuchtenden Flamme anfachen konnte.
Die Stunden schlichen dahin. Die Nacht kam heran. Nach und nach erstarben die letzten Schimmer des Tages, welche sonst durch das Strohdach der Baracke drangen. Das Lärmen von der Tchitoka, wo es heute vergleichsweise sehr still zuging gegenüber dem Getöse und den wilden Auftritten des Vortages, verstummte allmälig. Im Innern des engen Gefängnisses herrschte tiefe Dunkelheit Bald pflegte in der Stadt Kazonnde Alles der Ruhe.
Die Nacht mochte schon halb verflossen sein. Der Havildar lag in bleiernem Schlafe, den er einer Flasche Branntwein verdankte, deren Hals seine Hand noch immer umschlossen hielt. Der Wilde hatte sie bis zur Neige geleert. Dick Sand kam auf den Gedanken, sich der Waffen seines Wächters zu bemächtigen, die ihm ja im Falle einer Flucht von großem Werthe sein konnten; in demselben Augenblicke vernahm er ein leises Scharren am unteren Theile der Barackenthür. Mit Hilfe der Arme gelang es ihm, bis zur Schwelle hinzukriechen, ohne den Havildar zu erwecken.
Dick Sand täuschte sich nicht. Das Scharren währte fort und ward immer deutlicher. Es schien, als werde von außen der Erdboden unter der Thür weggekratzt. War das ein Thier? War es ein Mensch?
»Herkules! Wenn das Herkules wäre?« sagte sich der junge Leichtmatrose.
Er heftete die Augen auf seinen Wächter; dieser lag in seinem Todtenschlafe nach wie vor unbeweglich da. Dick Sand näherte seine Lippen möglichst der Thürschwelle und glaubte es wagen zu dürfen, leise Herkules’ Namen zu flüstern. Ein unbestimmter Laut, ähnlich einem unterdrückten, kläglichen Bellen, antwortete ihm.
»Herkules ist es nicht, sagte Dick Sand für sich, aber Dingo ist es! Er hat meine Spur bis nach dieser Baracke gewittert. Bringt er mir wohl ein Wort von Herkules? Wenn Dingo aber nicht todt ist, so hat Negoro also gelogen und vielleicht…«
Da drängte sich eine Tatze unter der Thür hindurch. Dick Sand erfaßte sie und erkannte nun Dingo mit Sicherheit daran. Wenn dieser aber ein Billet trug, dann konnte es nur an dem Halse des Hundes befestigt sein. Was nun? War es möglich, das Loch so weit zu vergrößern, daß Dingo den Kopf durchzwängen konnte? Jedenfalls mußte dieser Versuch gemacht werden.
Kaum hatte Dick Sand jedoch begonnen, die Erde mit den Fingernägeln wegzuscharren, als auf dem Platze draußen ein lebhaftes Gebell, aber nicht von Dingo herrührend, anhob. Die einheimischen Hunde hatten das treue Thier aufgespürt, und ihm blieb gewiß nichts Anderes übrig, als die Flucht zu ergreifen. Einige Flintenschüsse krachten. Der Havildar ward halb munter. Dick Sand konnte nicht mehr daran denken, auszubrechen, nachdem einmal Lärm geschlagen war, und mußte auf’s Neue in seinen Winkel kriechen
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