Ein Kapitän von 15 Jahren
würden. Die armen Leute, welche niemals den Boden Afrikas hätten betreten sollen und welche nun ein elender Verrath hierher verschlagen mußte!
Auch als Ibn Hamis’ Karawane in Kazonnde anlangte, erfuhr Mrs. Weldon, der jede Verbindung mit der Außenwelt abgeschnitten war, davon nicht das Geringste.
Selbst der Lärm des Lakoni konnte sie nicht weiter aufklären. Sie wußte nicht, daß Tom und die Seinen an einen Sklavenhändler in Ujiji verkauft worden waren und daß sie in nächster Zeit abziehen sollten. Sie kannte weder etwas von der Tödtung Harris’, noch von dem Ableben des Königs Moini Loungga, nichts von der königlichen Leichenfeier, der Dick Sand mit so vielen Anderen zum Opfer gefallen war. Die unglückliche Frau befand sich demnach allein in Kazonnde, abhängig von der Gnade der Händler, in der Gewalt Negoro’s, und um diesem zu entfliehen, konnte sie nicht einmal daran denken, zu sterben, da ihr Kind ja bei ihr war!
Das Loos, welches ihrer wartete, blieb Mrs. Weldon also völlig unbekannt. Im Laufe der ganzen Reise von der Coanza bis Kazonnde hatten weder Harris noch Negoro jemals ein Wort an sie gerichtet. Seit ihrer Ankunft hier sah sie weder den Einen noch den Anderen nur mit einem Blicke wieder und konnte die Einzäunung des Etablissements des reichen Sklavenhändlers nicht verlassen.
Braucht es der ausdrücklichen Versicherung, daß Mrs. Weldon seitens ihres großen Kindes, des Vetters Benedict, keinerlei hilfreiche Unterstützung fand? – Das versteht sich ja wohl von selbst.
Als der würdige Gelehrte hörte, daß er sich nicht auf amerikanischem Boden befand, wie er doch bisher annahm, machte er sich nicht die mindeste Sorge darüber, zu erfahren, wie das wohl zugegangen sein mochte. Nein! Seine erste Empfindung war die der Enttäuschung. Die Insecten, welche er zuerst von allen in Amerika entdeckt zu haben glaubte, diese Tetses und andere, verwandelten sich nun ja zu ganz gewöhnlichen afrikanischen Hexapoden, welche eine Menge Naturforscher schon lange vor ihm in ihrer Heimat auffanden.
Wie traurig mußte er dem Ruhme, den diese Entdeckungen an seinen Namen heften sollten, Lebewohl sagen! Was war denn auch Erstaunliches daran, daß Vetter Benedict afrikanische Insecten gesammelt hatte, da er sich ja in Afrika befand?
Als der erste Schmerz der Enttäuschung aber vorüber war, sagte sich Vetter Benedict, daß »das Land der Pharaonen« – so pflegte er es noch immer zu nennen – ganz unvergleichliche Reichthümer an entomologischen Schätzen besaß, daß er, wenn er denn einmal nicht im »Lande der Inkas« sein sollte, bei diesem Tausche nicht viel verlieren könne.
»O, wiederholte er, und wiederholte es auch gegenüber Mrs. Weldon, welche ja gar nichts davon hören wollte, hier ist ja das Vaterland der Manticoren, jener Koleopteren mit langen, behaarten Füßen, mit verbundenen und doch verschiedenfarbigen Flügeldecken und verhältnißmäßig ungeheuren Kiefern, deren hervorragendste Art die knotige Manticore ist. Hier ist die Heimat der goldpunktirten Calosonen, der Goliaths von Guinea und Gabon, deren Füße mit Stacheln bewehrt sind; der gefleckten Anthidien, welche ihre Eier in das leere Gehäuse der Schnecken legen; der geheiligten Ateuchus, denen die Ober-Egypter eine wahrhaft göttliche Verehrung zollen! Hier wurden jene Sphinxe mit dem Todtenkopfe erzeugt, die jetzt durch ganz Europa verbreitet sind, und die Idias Bigoti, deren Stich die Bewohner der Küste von Senegal ganz besonders fürchten! O, hier ist noch manch prächtiger Fund zu thun und ich werde das nicht vernachlässigen, wenn diese wackeren Leute es nur erlauben!«
Man weiß, wer diese »wackeren Leute« waren, über welche Klage zu führen, Vetter Benedict gar nicht in den Sinn kam. Im Gegentheil genoß der Entomolog, wie gesagt, unter Harris’ und Negoro’s Leitung einer halben Freiheit, während Dick Sand ihn derselben während der Reise von der Küste zur Coanza beraubt hatte. Der naive Gelehrte schien von dieser Zuvorkommenheit ihm gegenüber ganz entzückt.
Vetter Benedict wäre mit einem Worte der glücklichste Entomologe gewesen, hätte er nicht einen Verlust erlitten, den er gar zu schmerzlich empfand. Noch immer besaß er zwar seine Blechbüchse, aber die Brille thronte nicht mehr auf seiner Nase und die Loupe hing nicht ferner an seinem Halse! Ein Naturforscher ohne Brille und Loupe ist aber so gut wie gar keiner. Leider sollte Vetter Benedict seine beiden optischen Hilfsmittel niemals wieder
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