Ein Kerl macht noch keinen Sommer
Sollte sie vielleicht diese riesige Jackie-O-Sonnenbrille aufsetzen, die sie eingesteckt hatte, um anonym bleiben zu können, oder würde sie damit erst recht Aufmerksamkeit erregen?
Sie nahm sich ein kostenloses Metro -Magazin, schlug es auf und verbarg ihr Gesicht dahinter.
»Entschuldigen Sie«, sagte der schwarze Mantel. »Waren Sie gestern nicht in Janes Damen zu sehen?«
Sie hätte es ruhig ein bisschen leiser sagen können, dachte Anna. Ein paar Leute wandten sich um und sahen sie etwas zu lange an.
»Äh … ja, das war ich«, lächelte Anna verlegen.
Der schwarze Mantel verzog den Mund zu einem breiten Grinsen. »Hab ich’s mir doch gedacht. Ich habe Sie sofort erkannt. Ich wollte nur sagen, ich fand, Sie waren fabelhaft. Ich werde mir heute in der Mittagspause gleich einen dieser Darq-Bodyshaper kaufen. Sie haben mich wirklich überzeugt.«
»Danke, vielen Dank«, sagte Anna verblüfft. Sie spürte, wie ein paar Leute sie anstarrten, aber Anna Brightside kämpfte gegen den gewohnten Drang an, sich einfach einzuigeln. Sie stellte sich vor, wie Vladimir Darq hinter ihr stand und ihre Schultern durchdrückte. Sie reckte die Brust vor, hob das Kinn und lächelte.
»Und, freust du dich schon auf deinen Junggesellinnenabschied?«, fragte Raychel später in der Rising Sun, obwohl die Antwort an Dawns entsetzter Miene deutlich abzulesen war. Ihr graute bei dem Gedanken, was am nächsten Abend los sein würde.
Und daher glaubte ihr auch niemand, als sie sagte: »Ja, ich habe mich allmählich an den Gedanken gewöhnt. Es wird bestimmt lustig werden.«
»Wohin fahrt ihr gleich wieder?«
»Blegthorpe-on-Sea. Wart ihr schon mal da?«
Niemand war je dort gewesen, bis auf Grace. Aber sie schüttelte mit allen anderen den Kopf, denn es wäre ihr sehr schwergefallen, Dawn davon zu überzeugen, dass sie in diesem gottverlassenen Nest einen wundervollen Abend verbringen würde.
»Der Gitarrist starrt schon wieder ständig herüber, wie üblich«, sagte Christie, während sie den Wein einschenkte.
Dawn spürte, wie sie errötete.
»Wir sind nur Freunde.«
»Ja, und ich bin Basil Brush«, sagte Anna. »Wirst du wenigstens mit ihm knutschen, bevor er nachhause fährt?«
»Anna!«, sagte Dawn mit jungfräulicher Empörung. »Ich hätte nicht gedacht, dass du so etwas sagst!«
Anna auch nicht, aber sie hatte ihr Mundwerk in letzter Zeit nicht mehr so gut im Griff, da sie nicht mehr wusste, wo ihr der Kopf stand zwischen einem Freund, der vielleicht zu ihr zurückkehren würde, und einem vampirhaften Damenwäsche-Designer, der durch ihre erotischen Träume spukte. Sie machte sich Sorgen um Dawn. Für sie war sonnenklar, dass Calum nicht der Richtige für sie war. An manchen Tagen, wenn Dawn zur Arbeit kam, sah sie aus, als würde die ganze Welt auf ihren Schultern lasten, überhaupt nicht so, wie eine aufgeregte künftige Braut aussehen sollte. Aber am Freitag war sie immer wie ausgewechselt und scheuchte sie alle zur Tür hinaus in Richtung Pub, mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Und das nicht, weil sie so großen Durst auf Shiraz hatte.
»Dawn, die sexuelle Anspannung zwischen euch beiden könnte man nicht mal mit einer Texas-Kettensäge zerschneiden«, sagte Christie. »Wir sehen doch alle seit Wochen, wie sie sich aufbaut. Du starrst ihn an, er starrt dich an. Was ist denn los mit euch beiden?«
»Nichts. Ehrlich. Das könnte ich nicht.« Dawn zuckte die Schultern. »Es wäre nicht richtig, egal, wie sehr …« Sie brach ab. Sie klang so traurig, dass keine der Frauen auf die Idee kam, sich wegen dieses unvollendeten Satzes einen Scherz zu erlauben.
»Ben küsst wundervoll«, warf Raychel schließlich ein.
»Ich bin schon lange nicht mehr geküsst worden«, lachte Grace leise.
»Vielleicht ist es an der Zeit, dass es mal jemand tut?«, sagte Christie mit einem schelmischen Augenzwinkern. Grace sah ihre Freundin mit zusammengekniffenen Augen an und schüttelte entnervt den Kopf.
Anna atmete hörbar aus. »Angeblich soll es ja richtig nett und romantisch sein, aber ich fand es eigentlich noch nie so toll – dieses Knutschen. Tony knutscht nicht gern.« Er hatte vielleicht ein bisschen mit ihr geknutscht, um möglichst rasch zur Sache zu kommen, aber danach hatte es ihn nicht mehr interessiert.
»Na ja, ich bin der festen Überzeugung, dass ein Kuss mehr verraten kann als alles andere«, sagte Christie. »Du«, wandte sie sich an Anna, »hast offenbar die falschen Männer geküsst. Und du«, und dabei
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