Ein Kerl macht noch keinen Sommer
fragte Christie.
»Wozu denn?«, antwortete Anna.
»Ich kann den nächsten Bericht kaum noch erwarten«, lächelte Raychel. »Um wie viel Uhr fährst du hin?«
»Er schickt mir um Viertel vor sieben einen Wagen. Er sagt, er arbeitet tagsüber nicht.« Anna rutschte auf ihrem Platz vor und flüsterte, als könnte er sie hören: »Und er hat Fangzähne.«
»Fangzähne?«
»Wie ein Vampir. Nicht so riesige einen halben Meter lange, aber es sind eindeutig Fangzähne. Im Gebiss.«
»Ach, nicht an den Ohren?«, zog Christie sie auf.
»Nein, wirklich«, beharrte Anna.
»Dann spielt er offenbar mit seinem Image als Rumäne«, sagte Christie. »Das war zu erwarten.«
»Was soll das denn heißen?«, fragte Dawn, während die anderen aufstöhnten.
»Rumänien – Vampire – Dracula«, erklärte Grace.
»Ich konnte mich für diese ganzen Gothic-Geschichten noch nie besonders begeistern. Das dort drüben ist eher mein Fall.« Dawn deutete auf die Band, die jetzt zu spielen begonnen hatte und von Anfang an wirklich sehr gut war. Vor allem dieser hochgewachsene Rhythmusgitarrist im Hintergrund. Ihr schoss der geniale Gedanke durch den Kopf, ihn zu fragen, ob sie bei ihrer Hochzeit spielen würden, sobald sie seine Finger auf den Saiten hörte. Damit würde wenigstens das Karaoke am Abend leichter zu ertragen sein.
»Und ist mit den Zähnen deines Enkels alles wieder gut?«, fragte Christie Grace.
»Dank deinem Bruder, ja«, erwiderte Grace.
»Stimmt, du sagtest ja, dein Bruder sei Zahnarzt«, erinnerte sich Dawn jetzt.
»Ja, und ein sehr guter noch dazu«, sagte Grace.
»Er ist ein wundervoller Mann, mein großer Bruder«, lächelte Christie. »Es ist mir schleierhaft, wieso er nie die richtige Frau gefunden hat. Er ist freundlich, großzügig, geduldig und treu.« Sie schüttelte den Kopf. Sie hatte nie begriffen, warum er nicht längst eine Familie mit einer Schar Kinder hatte. Sie hätte ihn so gern in einer zärtlichen, liebevollen Beziehung gewusst.
»Na ja, da hast du deine Antwort«, seufzte Anna. »Wenn er ein absolutes Arschloch wäre, dann hätte er eine flotte Biene an Land gezogen, ihr Leben ruiniert und sich im nächsten Augenblick vor anderen Frauen kaum noch retten können.« War es nicht unfair, nach welchem Schema Beziehungen immer abliefen? Manche liebenswerten Leute fanden niemanden, und die ganzen Idioten hatten die freie Auswahl.
»Und, bist du bereit für euren großen Umzug morgen?«, wandte sich Christie jetzt an Raychel.
»Mehr oder weniger. Ich muss nur noch ein bisschen putzen für den nächsten Mieter.«
»Igitt. Ich werde nicht fragen, ob wir unsere Wochenenden tauschen wollen«, sagte Anna.
»Ich auch nicht. Ich würde mich lieber von einem schwulen Vampir begrapschen lassen, als Öfen auszuschrubben«, sagte Dawn.
Sie tranken aus und zogen ihre Mäntel an, und dann verabschiedeten sie sich und wünschten einander ein schönes Wochenende. Dawn bot an, die Gläser zurück zur Bar zu bringen, da sie noch fünf Minuten bleiben und der Band zuhören wollte. Als sie sich der Bühne näherte, war es Liebe auf den ersten Blick. Sie sah, dass der hochgewachsene Rhythmusgitarrist eine uralte Fender Stratocaster spielte: dieselbe Gitarre, die ihr Dad gehabt hatte. Sie schloss die Augen und hörte der Musik zu, während sie sich ihren Dad, mit den Fingern auf den Saiten auf der Bühne vorstellte.
Applaus brauste auf, als der Song zu Ende war, aber Dawn, die in einem bittersüßen Tagtraum gefangen war, taumelte, und als sie umzukippen drohte, wurde sie von den Händen des Rhythmusgitarristen aufgefangen.
»Alles okay mit Ihnen, Ma’am?«, fragte er in einem gedehnten Tonfall, wie aus einem John-Wayne-Western. Offenbar hatte die Band eben eine kurze Pause eingelegt.
»O ja, Entschuldigung«, sagte Dawn. Sie kam sich ein bisschen idiotisch vor. Sie hoffte, dass er sie nicht für betrunken hielt, nur weil sie taumelte, daher holte sie zu einer Erklärung aus. »Ich habe Ihrem Gitarrenspiel zugehört. Mein Dad hatte auch eine alte Stratocaster. Sie hat so einen tollen Sound. Es ist schön, mal wieder eine zu sehen.«
» Hatte ? Er hatte eine von denen und hat sich davon getrennt?«, fragte der Gitarrist.
»Nein, nein. Er wurde damit begraben. Das bringt ein Gespräch immer leicht zum Stillstand, Entschuldigung«, seufzte Dawn.
»O Gott, es tut mir leid, das zu hören. Sie muss ihm ja wirklich viel bedeutet haben.«
»O ja, das hat sie.«
»Und spielen Sie auch, wie Ihr Daddy,
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