Ein Killer für Rockford
Zeitungsleute den Ort nennen, wo sie die Ausschnitte alter Storys aufheben. Er trug den Titel »Archivar.« Ihm gefiel weder der Titel noch der Job.
»Wie stellst du dir das vor, Jim?« fragte er Rockford. »Was für eine Sache ist das? Wenn ich diesen kümmerlichen Job nicht behalten müßte, würde ich kündigen.«
»Dann kündige doch«, sagte Rockford.
»Du hast keine Ahnung, wie es ist, wenn man Bewährung hat«, sagte Martin. »Dich hat der Gouverneur persönlich laufen lassen. Aber ich? Ich muß mich einmal in der Woche bei einem Fisch namens Norman Carter melden …«
»Hey, einige meiner Nachbarn sind Fische.«
»Okay, ich entschuldige mich. Aber ich muß mich einmal in der Woche bei Carter melden und ihm erzählen, wie brav ich gewesen bin.«
»Warst du brav?«
»War ich brav? Sieh mich an! Ich bin nur ein schwacher Abglanz meines früheren Ich.«
»Ich finde, du siehst ziemlich gesund aus«, stellte Rockford fest.
Tatsächlich sah Martin viel zu gesund aus. Seit seiner Entlassung aus dem Gefängnis hatte er vierzig Pfund zugenommen. Als er noch im Gefängnis gesessen hatte, war er auch nicht gerade besonders schlank gewesen. Martin war untersetzt und einsdreiundsiebzig groß, mit einer kreisförmigen Glatze, die auf seinem Kopf saß wie das Nest eines Adlers. Er hatte dicke Backen, ein Doppelkinn und war ewig schlecht rasiert. Martin war gesund, aber nicht sehr freundlich. Außer zu Rockford, dem niemals klarwurde, womit er sich diese Ehre verdient hatte.
»Es macht mich fertig«, sagte Martin. »Alle dreißig Sekunden kommen sie hier herein. Glaubst du, daß sich einer mal was selbst heraussuchen kann? Mist! ›Hey, Angel‹, brüllen sie, ›was hast du über Henry Kissinger? Was hast du über Jim Connors? Hey, Angel, hast du ein paar Ausschnitte über den Film Frankensteins Tochter?‹ Weißt du was, Jimmy? Ich bin schon verheiratet mit Frankensteins Tochter. Wenn meiner Schwiegermutter dieser Laden nicht gehören würde, säße ich immer noch im Knast.«
»Vielleicht solltest du zurückgehen?« schlug Rockford vor.
»Ach, zum Teufel. Ich glaube, es mußte so kommen. Ich hab' das Ding mit der Bank gedreht.«
»Yeah«, lächelte Rockford, »als wir noch drin saßen, mußt du mir ungefähr hundertmal erzählt haben, daß du unschuldig bist.«
»Gut, ich war eben nicht unschuldig. Was ist mit dir? Hast du's wirklich getan?«
»Nein. Ich bin reingelegt worden.«
»Natürlich, natürlich …«, sagte Martin. »Mit mir kannst du doch offen reden. Du warst an diesem Raub beteiligt, stimmts?«
»Stimmt nicht.«
»Ich glaube dir nicht.«
»Niemand hat mir geglaubt. Hör zu, hast du gefunden, was ich suche?«
»Yeah. Ich habe die alten Gesellschaftskolumnen durchgeblättert und etwas über diese Dame Elias ausgegraben. Sieh es dir an.«
Martin überreichte Rockford einen zweispaltigen Artikel.
»Bißchen merkwürdig, nicht wahr?« sagte Martin.
»Yeah … tatsächlich.«
»Also, als ihr Mann starb, das war im Mai letzten Jahres. Wenn du die zweite Spalte halb durchliest…
»Hab's schon … danke, Angel. Seh dich später. Vielleicht gehen wir zusammen essen.«
Rockford gab den Ausschnitt zurück an Martin, der ihn in eine kleine Tüte steckte und zurück in die Schublade schob.
»Ich kann nicht mit dir essen gehen, Rockford. Das gehört zu den Bedingungen meiner Bewährung. Ich darf mit keinem zusammen sein, mit dem ich im Gefängnis war. Sonst stecken sie mich wieder rein.«
»Ich dachte, das wolltest du. Wieder zurück.«
»Ach, hau ab, Mensch.«
Rockford ging zur Treppe.
»Wenn du die Bewährung los bist, gehen wir irgendwohin. Vielleicht zu Burger Den.«
»Danke. Hey, Jimmy, ganz unter uns, du bist nicht sauber, nicht wahr? Du hast es getan?«
»Nein.«
»Ich sag es ganz bestimmt keinem anderen Menschen. Zum Teufel, ich will es nur wissen.«
»Ich hatte mit der Sache nichts zu tun.«
Martin richtete sich auf und streckte die Brust heraus.
»Wenn du es so haben willst«, sagte er, »dann habe ich das Ding mit der Bank auch nicht gedreht.«
»Das habe ich auch nie vermutet«, sagte Rockford.
»Nun, ich war es wirklich nicht.«
Die beiden Männer lächelten, und Rockford verschwand die Treppe hinunter. Ehe er den nächsten Absatz erreichte, hörte er die Stimme eines Reporters, der etwas über das amerikanische Vorgehen in Kambodscha wissen wollte.
»Verdammter Job für einen Bankräuber«, dachte Rockford, als er die Straße betrat.
7
Detective Sergeant Dennis Becker
Weitere Kostenlose Bücher