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Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau

Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau

Titel: Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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durch den Briefschlitz geworfenen Brief vorfand, auf dessen Umschlag der Aufdruck Große, alljährlich stattfindende Lotterie des Wohltätigkeitskomitees des Gewerkschaftsverbandes prangte. Der Fernseher, kein Zweifel. Was sollte es sonst sein? Dennoch brachte sie die Seelenstärke auf, mit dem Öffnen des Briefes zu warten, bis Mrs. Butterfield zur abendlichen Tasse Tee erschien, damit sie an dem aufregenden Ereignis teilhaben konnte.
    Es war daher ein ziemlicher Schock, als sich beim Lesen des Briefes herausstellte, daß Mrs. Ada Harris, wohnhaft Willis Gardens Nr. 5, Battersea, auf das Los Nr. 49876 FH eine fünftägige Flugreise nach Moskau und zurück für zwei Personen einschließlich Taschengeld gewonnen habe. Dem Schreiben waren zwei Gutscheine beigefügt, die, wie es hieß, im Büro von Intourist in der Upper Regent Street in Reisetickets eingetauscht werden konnten. Herzlichen Glückwunsch und gute Reise!

3

    Diese erstaunliche und gänzlich unerwartete Kapriole der Dame Fortuna hatte fast das Auseinanderbrechen der langjährigen Freundschaft zwischen Ada und Vi zur Folge. Mit einer gewissen Feindseligkeit standen sie sich plötzlich gegenüber.
    Denn als die Gutscheine, die im Londoner Büro von Intourist, dem Reisedienst der Sowjetunion, gegen zwei Tickets auf die Pauschalreise 6A (drei Tage und vier Übernachtungen in Moskau) einzutauschen waren, auf dem Tisch lagen, machte Mrs. Butterfield ein so entsetztes Gesicht, als handle es sich um zwei schwarze Mambas, und kreischte: «Rußland! Nicht für eine Million Pfund fahre ich dorthin. Das sind Wilde. Über die hab ich alles in der Zeitung gelesen, und du auch, Ada Harris. Laß dir bloß nicht einfallen, irgendwohin zu fahren, wo man uns vielleicht den Kopf abhackt oder uns für den Rest unseres Lebens einsperrt.»
    Doch Mrs. Harris schwieg zu diesem Wortschwall. Sie saß da und starrte ohne das geringste Gefühl der Enttäuschung auf die beiden bedeutungsschweren Gutscheine, denn während sie ihrem Farbfernseher Lebewohl sagte, begrüßte sie im Geiste etwas weitaus Schöneres und Aufregenderes. Die Phantasiegebilde, denen sie sich kürzlich, als sie von Mr. Lockwoods Dilemma erfuhr, hingegeben hatte, kehrten nun mit doppelter Macht zurück. Wer hätte so etwas je für möglich gehalten! Und doch lagen hier vor ihr zwei Gutscheine für eine Flugreise nach Rußland, und in ihrer lebhaften, durch das jüngste Ereignis erst recht beflügelten Phantasie kam ihr der visionäre Gedanke, daß es sich bei dem Ganzen nur um ein beständiges Eingreifen von hoch oben handeln könne, ja, beinahe um eine an sie persönlich gerichtete Botschaft: Für Ada bestand nicht der leiseste Zweifel, daß die Botschaft so und nicht anders lautete.
    Ihre erste Regung war, zu Mr. Lockwood zu eilen oder ihn zumindest anzurufen und ihm die Neuigkeit mitzuteilen, daß es die Möglichkeit gab, die Verbindung zwischen ihm und seiner verloren geglaubten Liebe wiederherzustellen, doch dann fiel ihr ein, daß er für eine Woche verreist war.
    Eine Woche Aufschub. Aber das war unter Umständen sogar sehr günstig, weil es ihr Zeit ließ, Violet zu bearbeiten, denn wenn Mrs. Harris, keineswegs eine Närrin, Mrs. Butterfields Ansichten über Rußland auch nicht teilte, so war ihr doch nicht ganz wohl bei dem Gedanken, jene unheimliche, unter dem Namen Eiserner Vorhang bekannte Grenze allein zu überschreiten. Zu zweit war das schon sicherer.
    Jedermann weiß, daß sich die Gedanken im Kopf eines Menschen rasch wie ein Filmstreifen abspulen können, und so war seit Mrs. Butterfields angstgequältem Ausbruch kaum eine Sekunde vergangen, als Mrs. Harris ruhig erwiderte: «Ach, weißt du, Vi, man kann nicht alles glauben, was in der Zeitung steht. So eine kleine Vergnügungsreise kann doch ganz nett sein, zumal sie uns so unerwartet in den Schoß gefallen ist.»
    «Vergnügungsreise? Zu diesen Wilden?» rief Violet schrill. «Ada, das kann doch nicht dein Ernst sein! Dazu kannst du mich nicht überreden. Auch nicht für eine Million Pfund!» Hier verstummte der kleine o-förmige Mund, und Violett starrte ihre Freundin voll Entsetzen an. Sie wußte, wie hartnäckig ihre Freundin sein konnte, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. Für Mrs. Butterfield überstieg die Summe von einer Million Pfund alles

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