Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau
faßte sich als erste und bemerkte in aller Unschuld: «Mrs. Lockwoods Freundin scheint nicht gerade die jüngste zu sein, wie?»
Diese Äußerung brachte Mrs. Harris’ Kreislauf wieder in Schwung, und sie zischte wütend: «Halt den Mund, du Schaf. Das ist sie nicht. Das war nicht Liz.»
«Nicht?» sagte Mrs. Butterfield. «Aber wo steckt sie denn?»
Das ganze Ausmaß ihres Mißgeschicks wurde Ada bewußt, als sie antwortete: «Ich weiß es nicht», denn zum erstenmal ging ihr auf, daß sie von dem jungen Mädchen außer daß es bei Intourist sei — was offenbar nicht mehr der Fall war — , nicht das geringste wußte, daß sie keine Adresse von ihr hatte noch sonst irgendeinen Anhaltspunkt (bis auf das Foto), wo sie sie finden könnte.
Mrs. Butterfields Sturmglocken traten erneut in Tätigkeit, und sie sah ihre Begleiterin unruhig an. «Du weißt es nicht? Das ist ja großartig! Und was wird nun mit dem verflixten Brief?» Und dann fiel ihr etwas ein, und die Glocken schrillten noch lauter als vorher. «O mein Gott, Ada, du hast gehört, was die alte Schraube gesagt hat. Wenn wir keine Dinge mitführen, die verboten sind, hätten wir auch nichts zu befürchten. Geh aufs Klo und wirf den Brief weg, denn sie gucken bestimmt in deine Handtasche.»
«Mach dir um Gottes willen darüber keine Sorgen, Vi. Der Brief ist nicht mehr in meiner Handtasche.»
Inzwischen waren fast alle Passagiere beim Ausgang, und es blieb ihnen nichts anderes übrig, als ihre Siebensachen zusammenzusuchen und den anderen zu folgen. Sie verließen fast als letzte das riesige Verkehrsflugzeug und traten damit in den Sicherheitsbereich der Teleobjektive des KGB.
Als die beiden Frauen auf der obersten Stufe der Gangway erschienen, Kam Leben in die im obersten Stockwerk des Flughafensgebäudes postierten Angehörigen des KGB. Der Mann, der das Flugzeug durch ein Fernglas beobachtete, stieß einen leisen Schrei aus, warf einen Blick auf die beiden vergrößerten Fotografien auf dem Tisch vor ihm, hob das Glas wieder an die Augen und sagte: «Da sind sie. Die Kleine, Zierliche in Blau ist der Kurier, Mrs. Harris, und die andere ist die, die sich Mrs. Butterfield nennt.» Die mit Gummilinsen bestückten Kameras begannen zu surren und zu klicken.
Die Männer sahen, wie die kleine Frau in Blau etwas zu ihrer Begleiterin sagte. «Sehen Sie? » sagte der Mann mit dem Fernglas und wandte sich an einen am Tisch sitzenden Kollegen, der das Dossier von Mrs. Harris vor sich liegen hatte. «Der Bericht stimmt. Die beiden versuchen nicht zu verbergen, daß sie einander kennen. Entweder soll der Kurier, Mrs. Harris, die sich Butterfield nennende Person anlernen, oder diese Person, deren wahre Identität wir nicht kennen, soll den Auftrag ausführen und die andere, weil erfahrenere, ihr assistieren.»
Der Mann am Tisch sah sich die Fotokopien von Mrs. Butterfields Einreise-Antrag mit ihrem Lichtbild genau an. Er sagte: «Ich glaube eher das letztere — Beruf: Damenbetreuerin. Keine weiteren Anhaltspunkte. Die perfekte Tarnung. Sie ist die gefährlichere von den beiden.»
Mrs. Harris und Mrs. Butterfield stiegen, verfolgt von dem Fernglas, die Stufen hinab. Der Mann, der sie nicht aus den Augen ließ, machte den Fotografen ein Zeichen. «Die Dicke, Genossen, konzentriert euch auf die Dicke. Wir brauchen sie von allen Seiten. Im Profil kriegt ihr sie am besten, sobald sie unten am Fuß der Treppe ist.»
Mrs. Harris und Mrs. Butterfield waren inzwischen unten angelangt und gingen nun auf den in der Nähe wartenden Bus zu.
Das Fernglas folgte ihnen, und der Mann fragte: «Alles drin, Genossen?»
«Ja, bestens. Von der Seite eine Totale und das Gesicht ganz groß. Sie hat sich ein paarmal umgedreht und in unsere Richtung gesehen.»
«Vom Kurier auch?»
«Ja, auch. Da ist keine Verwechslung möglich.»
Der Mann mit dem Fernglas sagte: «Daß ihr mir ja gute Arbeit liefert.» Dann wandte er sich an seinen Kollegen am Tisch und fragte: «Wer kümmert sich um diese Reisegruppe?»
Der andere KGB-Mann antwortete: «Haben Sie nicht gesehen? Praxewna Ljeljeschka Bronislawa.»
Der Mann mit dem Fernglas brummte: «Eine unserer tüchtigsten. Wenn jemand der Dicken auf die Schliche kommen kann, dann sie.»
10
Da es Mrs. Harris überhaupt nicht in den Sinn gekommen war, Liz könnte nicht am Flughafen sein, maß sie dem Ausbleiben des jungen Mädchens unverhältnismäßige Bedeutung bei, und sie hatte das Gefühl, als habe sie selber einen großen Verlust
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