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Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau

Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau

Titel: Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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erlitten, was in gewissem Sinne ja auch stimmte, nachdem die goldschimmernde Seifenblase der Romantik geplatzt war. Von dem, was zwischen der Landung in Scheremetjewo und der Ankunft im Hotel um sie herum vorging, nahm sie kaum etwas wahr. Wie betäubt ordnete sie sich in die Reihe der Wartenden vor den Schaltern der Zoll- und Paßabfertigung ein und ließ die ungehobelte Barschheit der Beamten und die gründliche Durchsuchung ihres Gepäcks geduldig über sich ergehen. Selbst Mrs. Butterfields unaufhörliches Gerede, bestimmt würde der ja jetzt wertlose Brief gefunden werden, störte sie nicht; das brauchte sie nicht zu befürchten, denn Mrs. Harris hatte ihn am Körper verborgen.
    Auch an die Busfahrt bei Einbruch der Dunkelheit durch Birken- und Kiefernwälder und dann vorbei an endlosen monotonen Wohnblocks erinnerte sie sich kaum. Und auch das unbeschreibliche, chaotische Durcheinander in der Halle des Hotels nahm sie nur zur Hälfte wahr, wo sich an der Rezeption rund hundert Menschen drängten, deren vorbestellte Zimmer nicht frei oder überhaupt nicht vorgemerkt waren.
    Das war eines der älteren Moskauer Hotels. Es lag in der Nähe des Roten Platzes und bot eine herrliche Aussicht auf einige der schönsten Bauten der Stadt, doch es war ziemlich heruntergewirtschaftet. In dem Hotel wurden ausschließlich Pauschalreisende untergebracht, es war also ein Haus niederen Ranges, und diese Einstufung wirkte sich auch auf das Verhalten des Personals aus, das — von der Hotelleitung bis hinunter zum Hausdiener — neiderfüllt auf das neue, glitzernde , das und noch einige andere erst kürzlich eröffnete Luxushotel blickte, in denen sozusagen die Elite der Rußland-Besucher abstieg. Wenn die Angestellten also nicht gerade die Hotelgäste herumkommandierten, standen sie die meiste Zeit hinter ihren Empfangstischen und debattierten wild herumfuchtelnd laut und vernehmlich miteinander. Verärgerte Touristen pufften sich, fluchten und schimpften, Frauen weinten vor Erschöpfung und Nervosität, das Gepäck türmte sich zu Bergen, und die Besitzer suchten wütend ihre Koffer und Taschen, um sie in Sicherheit zu bringen. Vor den vier Fahrstühlen, von denen zwei offensichtlich defekt waren, stauten sich die gereizten Hotelgäste, die die umständlichen Anmeldungsformulare glücklich hinter sich gebracht hatten und nun auf ihre Zimmer wollten. In dieses Inferno geleitete die Intourist-Führerin Praxewna Ljeljeschka ihre rund dreißig Schäflein, die sofort in das Pandämonium hineingezogen wurden.
    Beobachtungsgabe und Intuition, geschärft zunächst einmal durch einen ständigen Kampf gegen Armut und sonstige Widrigkeiten des Lebens sowie durch die Notwendigkeit, sich auf die Schrullen und Launen ihrer jeweiligen Kundschaft einstellen zu müssen, waren Mrs. Harris’ strake Seite. Hätte die Enttäuschung, die sie bei der Ankunft erlebt hatte, sie nicht in so hohem Maße beschäftigt und verwirrt, wäre es ihr sicher aufgefallen (und hätte sie vielleicht mißtrauisch gemacht), wie mühelos ihr und Mrs. Butterfield zuteil wurde, worum ihre Reisegenossen offenbar vergeblich kämpften. Höchstwahrscheinlich merkte sie weder, daß die Angestellten am Empfang beim Eintritt Praxewna Ljeljeschkas plötzlich die Stimme dämpften, noch fielen ihr die drei KGB-Beamten in Zivil auf, deren äußere Erscheinung, wie das KGB rührenderweise glaubte, typisch westlich war. Ihr wurde lediglich bewußt, daß etwas geschah, aber nicht wie und warum. Die Reiseleiterin drängte sich rücksichtslos durch die Menge zum Empfang, kam gleich darauf wieder und sagte, ohne die anderen Mitglieder der Gruppe zu beachten, zu Ada und Mrs. Butterfield: «Kommen Sie, ich haben Ihr Zimmer.» Selbst der langerwartete Fahrstuhl schien ihrem Willen zu gehorchen, und als seine Türen sich öffneten, kämpfte sie sich, die beiden Damen im Schlepptau, entschlossen durch die wartende Menge nach vorn durch, gab dem Fahrstuhlführer einen Wink, woraufhin er sofort die Türen schloß, so daß niemand von den anderen Gästen mitkam, und fuhr mit ihnen in den siebten Stock hinauf, was, wie sich herausstellte, die oberste Etage des Hotels war.
    Beim Aussteigen fanden sie sich einer neben dem Fahrstuhl an einem Tisch sitzenden dicken, kräftigen Frau gegenüber, die eine gewisse Ähnlichkeit mit ihrer Intourist-Führerin hatte. Doch während Praxewna Ljeljeschka einer Holzschnitzerei glich, ähnelte die andere an eine

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