Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau
und einem Vergnügungspark, dem nur die Achterbahn und andere aufregende Attraktionen fehlten.
Sie war zutiefst gerührt von dem Bild. «Alle Wetter! Das ist wirklich wundervoll!» murmelte sie vor sich hin und freute sich plötzlich, daß sie die Reise unternommen hatte. Dann, noch immer in den Anblick versunken, verspürte sie zum erstenmal seit der Ankunft ein wenig Furcht. Vielleicht lag es an dem Gegensatz von Schein und Wirklichkeit, denn trotz der Lichter und der Farben und der seltsam geformten Bauten und Mauern war ihr, als sei das Ganze nur eine Filmdekoration, ja vielleicht überhaupt nur ein bemalter Theatervorhang. Doch wenn man genauer hinsah, warfen die Lichter Schatten, und es taten sich weiträumige Plätze und breite Straßen auf; so weit das Auge blicken konnte waren nur seltsam bedrohliche, furchteinflößende steinerne Landschaften zu sehen, Berge, Täler und weite Flächen.
Mrs. Butterfield erschien in der Tür zum Badezimmer, in das sie sich, kaum daß Praxewna Ljeljeschka gegangen war, zurückgezogen hatte. Sie sagte: «Es gibt kein Klopapier.»
Diese nackte Feststellung riß Mrs. Harris abrupt aus ihrer schönheitstrunkenen, von fast angenehmem Gruseln begleiteten Träume. «Was?» fragte sie. «Was gibt es nicht?»
«Klopapier», wiederholte Mrs. Butterfield. «Und der Stöpsel für die Badewanne. Und aus dem warmen Hahn läuft kaltes und aus dem kalten warmes Wasser und aus der Brause überhaupt nichts. Wenn man die Spülung zieht, passiert auch nichts. Das will sich Hotel nennen?»
Mrs. Butterfields Feststellungen brachten Ada endgültig auf die Erde zurück. «Laß mal sehen», sagte sie, und ging ins Badezimmer. Gleich darauf kam sie mit dem kleinen Pappzylinder, der sich gewöhnlich in einer Toilettenpapierrolle befindet, wieder, und sagte: «Kein Klopapier und anderes Papier auch nicht. Und was da an der Wand hängt, sollen das Handtücher sein? Fliegendreck auf dem Spiegel, und die Glühbirne ist auch kaputt. Höchster Komfort, wie? Mit denen reden wir jetzt mal ein Wörtchen.»
Sie griff zum Hörer, doch das Zimmertelefon streikte. Zu hören waren tickende, summende, piepende und krächzende Geräusche, aber keine menschliche Stimme.
«Ein Haus der ersten Kategorie», sagte Mrs. Harris, «aber nichts funktioniert, die Tapete ist schadhaft und die Decke hat Risse. In den Prospekten war davon aber nichts zu sehen. Soll dieser alte Kasten hier etwa das erste Hotel am Platze sein?» Trotz der bestrickenden Aussicht und ihrer Reise-Euphorie drohte das Zimmer ihr die gute Laune zu verderben.
Plötzlich bemerkte sie, daß Mrs. Butterfield eine höchst sonderbare Pantomime aufführte: Sie hob erst den einen Fuß in die Höhe, dann den anderen, deutete auf den Kronleuchter und verschiedene andere Gegenstände, legte den Finger an die Lippen, und ihre Augen traten vor Schreck aus den Höhlen.
«Herrjeh!» sagte Mrs. Harris. «Was ist denn in dich gefahren? Hast du den Veitstanz?»
Mrs. Butterfield machte «schsch», kam auf Zehenspitzen auf Ada zu und flüsterte ihr ins Ohr: «Wanzen. Sie können uns hören. Hast du nicht gelesen, daß in allen Hotels in Rußland Mikrophone installiert sind, um einen zu belauschen? In der Decke, unter den Stühlen. Sie können jedes Wort mithören.»
«Ach, ist das wahr?» sagte Mrs. Harris mit lauter Stimme. Violet war entsetzt. «Wanzen, wie?» Ada sah zu der angelaufenen Messinglampe auf, von deren sechs Birnen nur vier brannten, und schrie: «He, ihr da oben, wer da nun gerade lauscht, wir brauchen Klopapier!»
Als auf diese Herausforderung hin nichts geschah, sagte Mrs. Harris: «Komm, jetzt reden wir mal ein Wörtchen mit der alten Schraube da draußen auf dem Gang.»
Sie machte die Tür auf, und das Zimmermädchen fiel ihnen fast entgegen. Mrs. Harris sagte: «Na, was soll denn das? Am Schlüsselloch lauschen, wie?»
Das Mädchen ließ ein hohes, erschrockenes «Njet» hören, zog ein Staubtuch aus der Tasche und begann die Türklinke zu polieren.
«Sagen Sie, sprechen Sie vielleicht etwas Englisch? Wir brauchen Klopapier.»
Das Mädchen entgegnete verwirrt etwas, das wie «ja nje ponimaju» klang.
Violet sagte: «Sie kann uns nicht verstehen», was den Nagel auf den Kopf traf, denn es war genau das, was das Zimmermädchen auf russisch erwidert hatte.
Ada hielt die leere Papprolle hoch. «Klopapier, Klopapier!» rief sie mit der Phonstärke, deren Ausländer sich bedienen, die glauben, wenn sie nur laut genug schrien, würde man sie
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