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Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau

Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau

Titel: Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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denken als an Mr. Lockwoods Worte: «Liz betreut als Intourist-Fremdenführerin die Gruppenreise 6A nach Moskau.»
    Der Augenblick war da, den sie sich im Geiste herbeigewünscht und von dem sie so manche Nacht geträumt hatte — seit dem Tage, da die Gutscheine zum Eintritt in die Gefilde der Romantik ihr ins Haus geschneit waren. Zugegeben, es handelte sich hier nicht um ihre Romanze, aber darum war es nicht weniger aufregend, denn sie durfte ja daran teilnehmen. In wenigen Minuten würde sie Liz, Geoffrey Lockwoods verloren geglaubte Liebe, in Fleisch und Blut vor sich sehen. Ob das junge Mädchen wohl wirklich so schön war, wie ihr Foto es vermuten ließ?
    Die Tür des Flugzeugs öffnete sich, die Gangway wurde herangeschoben, die Männer und Frauen kamen die Stufen herauf und drängten sich an Bord.
    «Da», sagte Mrs. Harris, «das scheinen die Fremdenführerinnen zu sein.» In ihrer Aufregung und dem Wunsch, Liz sofort zu erspähen, sah sie keine der Frauen deutlich, obwohl ihr nicht entging, daß sie verschiedenen Alters waren und sich unter ihnen drei unleugbar hübsche junge Mädchen befanden. Ihr fiel ein, daß Liz auf dem Foto eine Pelzkappe trug, so daß ihre Frisur verborgen blieb.
    Drei Reisegruppen wurden aufgerufen und marschierten die Gangway hinunter und weiter ins Heilige Rußland hinein — zwei von den jungen Mädchen gingen ihnen voran. Mrs. Harris hatte sich inzwischen so weit beruhigt, daß sie sich zu konzentrieren vermochte, und so sah und hörte sie genau, was nun vor sich ging.
    Eine Frau von Ende Fünfzig — sie sah aus wie aus alten, verwittertem Holz geschnitzt — ging nach vorn, stellte sich neben die Chefstewardess und nahm ihr mit strenger Miene das Mikrophon aus der Hand oder, besser gesagt, brachte sich in seinen Besitz. Zwei kleine, mißtrauische Augen starrten aus dem eckigen Gesicht, daß durch die geblähten Nasenflügel und den bitteren Zug um den Mund nicht eben anziehender wurde. Auch das unkleidsame graue Kostüm wirkte wie eine Holzschnitzerei, und das hutähnliche Gebilde auf dem strengen grauen Haarknoten spottete jeder Beschreibung. Sie sprach nicht ganz so akzentfrei wie ihre Kolleginnen, und zu ihrem ungläubigen Staunen und Entsetzen hörte Mrs. Harris sie sagen: «Ich bin Praxewna Ljeljeschka Bronislawa und die Intourist-Führerin für alle Teilnehmer der Pauschalreise 6A. Bitte alle 6A-Reisende die Hand heben.»
    Neunundzwanzig Hände folgten der Aufforderung. Mrs. Harris war unfähig, ihre Hand auch nur einen Zentimeter zu heben.
    «Ich Ihnen werde Moskau zeigen. Wir werden Freunde sein. Wenn Sie tun, was ich sage, es wird keine Schwierigkeiten geben. Folgen Sie mir jetzt zur Zoll- und Paßkontrolle. Wenn Sie sich an das gehalten haben, was in der schmalen Broschüre darüber steht, welche Dinge Sie nach Sowjetrußland einführen dürfen und welche nicht, Sie haben nichts zu befürchten. Gehen wir.»
    Ada Harris war vor Schreck wie betäubt, und es war nur gut, daß die anderen Reiseteilnehmer der Aufforderung sofort Folge leisteten und den Gang zwischen den Sitzen blockierten, denn sie war unfähig, auch nur ein Glied zu rühren. Es war ein reines Wunder, daß sie nicht in jenen Zustand tiefer Bewußtlosigkeit versank, der sie in extrem kritischen Situationen, vor allem, wenn sie sie selbst heraufbeschworen hatte, immer lähmte.
    Benommen starrte sie der breitschultrigen, sich entfernenden Gestalt der Fremdenführerin nach. Wie hieß sie? Praxewna Lil Sowieso. Liz! Liz! Wo bist du? Was ist mit dir? Mein Gott, was soll ich bloß machen? Denn von dem Augenblick an, da Mr. Lockwood ihr gesagt hatte, Liz sei für die Pauschalreise 6A als Fremdenführerin eingesetzt und würde sie am Flughafen in Empfang nehmen, war es Mrs. Harris nicht eine Sekunde in den Sinn gekommen, daß sie nicht da sein könnte, daß etwas dazwischengekommen, daß Liz krank geworden oder gestorben, daß sie woandershin versetzt worden war oder gerade jetzt ein paar Tage Urlaub machte. Hätte sie gewußt, daß die staatliche Geheimpolizei oder das KGB dafür gesorgt hatte, daß speziell diese Reisegruppe nicht von Lisaweta Nadjeschda Borowaskaja alias Liz durch Moskau geführt wurde, sondern von Praxewna Ljeljeschka Bronislawa und erstere damit beschäftigt worden war, daß man sie vorübergehend ließ, hätte es gut sein können, daß Mrs. Harris von Starrsucht befallen und mit derselben Maschine nach London zurücktransportiert worden wäre.
    Mrs. Butterfield

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