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Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau

Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau

Titel: Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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sich ein gepeinigtes Stöhnen. «O mein Gott, der verflixte Brief.» Dann schwanden ihr die Sinne, und sie sank ohnmächtig zu Boden. Selbst jetzt noch setzten beide Spürgeräte mit ihren Jubelrufen fort.
    Mrs. Harris starrte voll Schreck auf ihre Freundin. Sollte sie etwa so töricht gewesen sein, heimlich eine Waffe einzustecken, nachdem sie, Ada, ihr Mr. Lockwoods Geschichte erzählt hatte? Aber nein, sie hatte von dem Brief ja erst im letzten Augenblick erfahren.
    Die Polizisten, tüchtig wie sie waren, taten in aller Ruhe, was nötig war. Sie bemühten sich um Mrs. Butterfield und hielten ihr ein Fläschchen mit Riechsalz unter die Nase. Als sie wieder zu sich kam, halfen die beiden Polizistinnen ihr auf die Beine und führten sie in einen Nebenraum. Als Ada mitgehen wollte, hieß es, nein, das dürfe sie nicht.
    «Na, hören Sie mal! Das ist meine Freundin. Wir verreisen zusammen, und ich will wissen, wie es ihr geht.»
    Mrs. Butterfield saß auf einem Stuhl, und eine der beiden Polizistinnen tastete mit geübten Händen ihren Körper ab. Plötzlich lächelte sie und flüsterte ihrer Kollegin ins Ohr: «Oh, Madge, du wirst es nicht glauben!»
    «Was nicht glauben?» fragte Madge.
    «Das in unserer Zeit!» Dann sagte sie laut zu Mrs. Butterfield: «Würden Sie bitte einen Augenblick aufstehen, Madam?»
    Mrs. Harris sagte: «Was soll das alles? Lassen Sie meine Freundin in Ruhe. Sie tut nichts, was verboten wäre.»
    Auch die Polizistin Madge lächelte nun und sagte: «Es ist ganz harmlos. Ich glaube, es sind die Korsettstangen. Wenn die Dame uns gestatten würde, nachzusehen?»
    «Korsettstangen?» rief Mrs. Harris. «Was haben die mit dem fürchterlichen Geräusch von vorhin zu tun. Korsettstangen sind aus Plastik, Vi, was zum Teufel hast du eigentlich an?»
    Mrs. Butterfield hatte ihre fünf Sinne mittlerweile wieder beieinander. Sie verstand, was man von ihr wollte, und hob den Rock. Den drei Frauen bot sich ein ungewöhnlicher Anblick. «Mein Himmel, wo hast du denn das aufgegabelt, Violet?» fragte Mrs. Haris.
    Bei dem handelte es sich, wie sich herausstellte, um eines jener langen, altmodischen, spitzenbesetzten Korsetts mit gepolsterten Stahlstangen.
    Violet sagte: «Wieso, was ist damit? Ich habe es preiswert erstanden und trage es nur, wenn ich ausgehe oder verreise, weil es da sehr angenehm ist, als Stütze. Hier...» Und sie enthüllte dem Blick der Zuschauer, welchen Nutzen ihr stattlicher Busen aus der patenten Erfindung zog.
    Die Polizistin sagte: «Entschuldigen Sie vielmals, Madam. Natürlich waren es die Stahlstangen. Kommen Sie, Sie und Ihre Freundin können hier hinausgehen, das ist angenehmer für Sie.» Der Raum hatte eine zweite Tür, und als sie ihn verließen, flüsterte Violet Mrs. Harris zu: «Ich dachte schon, man hätte den Brief gefunden. Hier, nimm deine Handtasche. Ich will nichts damit zu tun haben.» Die beiden Frauen gingen zum Flugzeug.

9

    Wenn die beiden Reisenden beim Abflug in Heathrow schon alle Mühe hatten, die Nerven nicht zu verlieren, so gerieten sie bei der Ankunft auf dem Moskauer Flughafen Scheremetjewo mit seinem glasglitzernden Empfangsgebäude fast in eine Panikstimmung, und Mrs. Harris sah ihre sämtlichen Pläne, Träume und Hoffnungen sich in nichts auflösen.
    Es herrschte hier nicht nur das übliche chaotische Durcheinander, das allen großen Flugplätzen eigen ist, sondern darüber hinaus ein wahrhaft ohrenbetäubender Lärm, viel lauter als anderswo, wozu noch die fremde Sprache, die fremden Uniformen und die nicht zu entziffernden Hinweisschilder in kyrillischer Schrift kamen. Ungewohnte Geräusche, ungewohnte Gerüche, ein ungewohntes Tempo, Beamte mit strengen Mienen, eine farblos gekleidete Menschenmenge, aus der hier und da eine farbenfreudige östliche Nationaltracht hervorstach. Der Flug von London nach Moskau an Bord einer auch den höchsten technischen Ansprüchen genügenden Düsenmaschine hatte das Kommende nicht ahnen lassen, obwohl Mrs. Harris später behauptete, schon als sie ihren Fuß in die Iljuschin setzte, habe sie unbewußt das Gefühl gehabt — in ihrer Sprache ausgedrückt: es in den Knochen gespürt-, daß sie alles hinter sich ließe, was ihr lieb und wert sei, und wenn sie sich indirekt auch noch in England befunden habe, so sei es ihr doch vorgekommen, als habe sie ein fremdes Land betreten, von dem irgendwie etwas Bedrohliches ausgegangen sei.
    Während des viereinhalbstündigen Fluges war nichts vorgefallen, was dieses

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