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Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau

Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau

Titel: Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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was sie an diesem Tag oder in dieser Woche getan hatte. Und vielleicht wollten sie gar wissen, wie es mit dem versprochenen Utopia «Leben und leben lassen» weiterging und wann man davon etwas merken würde. Und darauf wußte sie überhaupt keine Antwort.
    Das zweischneidige Schwert des Ruhms fügte ihr seine üblichen Wunden zu, auch wenn nicht alles so geworden war, wie Violet Butterfield es vorausgesagt hatte. Mrs. Harris war nicht zu bedeutend für ihre Freunde geworden. Im Gegenteil, sie war zu elend und ängstlich geworden, um ihnen den Umgang mit ihr zuzumuten.
    Aber das Bestürzendste enthüllte sich Ada Harris, der Abgeordneten des Unterhauses, durch ihren eigenen scharfen Verstand und ihre Beobachtungsgabe. Es dauerte nicht lange, und sie entdeckte, daß sie sich diesmal eine zu große Jacke angezogen hatte, denn es wurde bald klar, daß sie außer Intelligenz und angeborener Schläue nichts vorzuweisen hatte, was für eine Abgeordnete des Parlaments unerläßlich war.
    Ada Harris — Putzfrau. Es gab keine bessere, alle wollten sie. Ada Harris — Kinderfrau. Die Kinder liebten sie, und sie konnte gut mit ihnen umgehen. Ada Harris — Eheberaterin. Sie hatte viele Ehen dadurch gerettet, daß sie die hysterischen Frauen beruhigte und den betrogenen Frauen gut zuredete, die Flecke eines Lippenstifts von der falschen Farbe am Kragen oder Taschentuch ihrer Männer entdeckt hatten.
    «Er wird Sie hinterher nur um so mehr lieben, meine Liebe, wenn Sie so tun, als ahnten Sie nichts, und ihm keine Szene machen», sagte sie und unterstützte ihre Theorie mit den passenden Argumenten und Beispielen, mit dem Erfolg, daß jene, die auf sie hörten, jetzt noch glücklich verheiratet oder in guten Verhältnissen lebende Witwen waren und ein behagliches Leben führten, während bei denen, die eine Szene gemacht hatten, davon nicht die Rede sein konnte.
    Aber Mrs. Harris — M. P.
    Im Unterhaus war sie von Leuten mit Bildung und Erfahrung umgeben. Das war etwas anderes als die einfach kultivierten Menschen, die zwar eine ganz andere Stellung im Wirtschaftssystem hatten als sie und auch eine ganz andere Ausdrucksweise, mit denen sie sich aber immer auf ihrer eigenen Stufe hatte verständigen können. Ihre Parlamentskollegen schienen dagegen Informationen und Wissen in den Fingerspitzen zu haben.
    Die alten Schlachtrosse Labours, die Exgewerkschaftsführer, die aus den Bergwerken, den Eisenbahnen, den Fabriken gekommen waren, verfügten über Fakten und Zahlen und wußten sich in allem auf etwas zu berufen, wußten immer, worüber sie sprachen.
    Ein einziger Blick hinter den Vorhang der modernen Nationalökonomie, wie verwirrend und unverständlich sie auch sein mochte, genügte, um Ada Harris ihre kolossale Ignoranz bewußt zu machen, und erst recht ihre Hilflosigkeit einer Regierung gegenüber, die das Land dadurch regierte, daß sie ausgab, was sie nicht hatte, und borgte, was sie nie würde zurückzahlen können. Die Fata Morgana «Leben und leben lassen» war über Nacht verschwunden.
    Alle, die sich erhoben, um zu sprechen, hatten Blätter voller Notizen in den Händen, noch weitere in ihren Aktentaschen und offenbar auch im Kopf. Hinweise auf frühere und heutige Gesetze, Berichte, Kommentare, Statistiken usw., um ihre Argumente damit zu untermauern oder die eines Gegners ad absurdum zu führen. Jeder kannte sich auf einem bestimmten Gebiet aus, und wenn auch einer oder zwei von ihnen bluffen mochten, sie hatten die notwendigen Unterlagen, um ihren Bluff glaubwürdig zu machen. Mrs. Harris hatte nichts. Sicheres Auftreten und Ellbogen genügten nicht in dieser Versammlung. Es wurde mehr verlangt, wenn man sich als Vertreter und Sprecher einer großen Anzahl von Mitbürgern durchsetzen wollte. Mit einem wachsenden Gefühl der Verzweiflung, das fortwährend an ihr nagte, kam Mrs. Harris zu der traurigen Erkenntnis, daß sie sich nackt und unbewaffnet ins Getümmel eines Schlachtfeldes begeben hatte.
    «Für Menschen wie uns ist das Parlament nichts», hatte die immer schrecklicher Katastrophen gewärtige Violet Butterfield gerufen, und zum erstenmal, seit Mrs. Harris ihre Freundin mit ihren ewigen düsteren Prophezeiungen kannte, hatte sie recht. Die Katastrophe, die diese vorausgesehen hatte, war für Ada Harris eingetreten. Das Parlament Großbritanniens war nichts für Leute wie sie. Es wurde mehr verlangt, als sie zu geben hatte. Und unvermeidlich begann sie sich zu fragen, wie sie eigentlich hier hereingekommen

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