Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau
diese Worte gesprochen hatte, schüttelte der Sprecher ihr die Hand, aber sie wagte in frommer Scheu kaum, ihn anzusehen. Dann wurde eine Pergamentrolle vor sie hingelegt, und man schob ihr einen Federhalter in die Hand. Sie unterschrieb: «Ada Harris» und ging damit in die Geschichte ein.
Die Vereidigung hatte eine ernüchternde, geradezu abkühlende Wirkung auf sie. Von dem Augenblick an, da sie Treue und Ergebenheit geschworen hatte — und kein Mitglied des Hauses, wie lange es auch schon im Parlament sein mochte, war von der Erneuerung dieses Schwurs ausgenommen — , war es ihr, als ob ein unerwartet schwerer Mantel der Verantwortung sich auf ihre Schultern gelegt habe. Ihre ungestüme und trügerische Phantasie hatte sie sich als Führerin und Kreuzfahrerin sehen lassen, die der Welt die Leviten las. Jetzt wurde auch sie aufgerufen, zu dienen. Sie wußte, daß sie bis jetzt keine Ahnung hatte, was von ihr als Dienst verlangt werden würde, und zum erstenmal hatte sie Angst davor, das nicht leisten zu können. Sie hatte für den Augenblick ihr Ich verloren. Sie war nicht mehr sie selber, sondern Teil eines Ganzen.
Die erste Sitzung des neuen Parlaments war beendet. Der Führer der siegreichen Partei war Premierminister geworden und hatte eine annehmbare Regierung gebildet. Das Unterhaus hatte sich seiner Routinearbeit zugewandt, und während die Tage zu Wochen wurden, kam sich Ada Harris immer verlorener vor und versuchte sich durch das Dunkel zu tasten, das um so undurchdringlicher zu werden schien, je mehr Zeit verging. Sie litt doppelt in diesem Anfangsstadium. Einmal, weil sie einfach nicht zu begreifen vermochte, was vorging, und sich in den parlamentarischen Gepflogenheiten nicht zurechtfand, und zum anderen, und das war sogar noch bedrückender, war sie sich klar darüber, daß sie nicht nur ein nutzloses neues Mitglied des Hauses, das einer der kleinsten Parteien angehörte, sondern auch unbeliebt war. Es war eine feindliche Atmosphäre um sie.
Aber das hatte nichts mit Snobismus zu tun. Es gab andere Mitglieder des Hauses, die auf die eine oder andere Art bewiesen, daß sie noch niedrigerer Herkunft waren. Sie wurden jedoch akzeptiert, hatten Freunde, und man hörte ihnen respektvoll zu. Warum man so gegen sie eingestellt war, ging über ihr Begreifen. Sie spürte bald, daß sie sogar unter ihren eigenen Parteifreunden so etwas wie ein Paria war.
Denn die Mittelpartei hatte drei Sitze verloren und hatte nur noch fünf. Die Niederlage in Fairford Cross hatte die Hoffnung auf eine Wiederauferstehung zunichte gemacht, und man war geneigt, Mrs. Harris die Schuld daran zu geben.
Die Konservativen hatten das Gefühl, man habe sie betrogen, und die meisten Abgeordneten der Labourpartei sahen in ihr eine Verräterin ihrer Klasse und wollten nichts mit ihr zu tun haben. Die Liberalen hatten ihre eigenen Sorgen.
Natürlich war es nicht immer so; hin und wieder kam man ihr auch freundlicher entgegen. So hielt sie zum Beispiel ein siebzigjähriger Veteran des Hauses, ein schon ergrauter Mitstreiter, der in einem Norfolker Wahlbezirk gewählt worden war, in der Halle an und sagte absichtlich abrupt und in zackigem Ton, um seine wahren, milden Gefühle zu verbergen: «Wie geht’s Ihnen?»
Sie war verblüfft, daß sie antwortete: «Leider nicht sehr gut» und hinzufügte: «Sir.»
Der Veteran winkte ab. «Nennen Sie mich nicht Sir. Ich habe Ihren Wahlfeldzug verfolgt. Er war verdammt gut. Machen Sie sich keine Sorgen. Ich habe über ein Jahr gebraucht, ehe ich mich hier zurechtfand.»
Und einmal zur Teezeit saß Mrs. Harris im Restaurant an einem Tisch mit drei Labour-Mitgliedern, darunter einer enorm beleibten Frau — sie war sogar noch fetter als Mrs. Butterfield — , die in einem Wahlbezirk in Wolverhampton gewählt worden war. Sie sprachen kein Wort mit Mrs. Harris, unterhielten sich, als wäre sie gar nicht da, aber als die beiden anderen ihren Tee ausgetrunken hatten und gegangen waren, blieb die dicke Frau sitzen, und nachdem sie vorsichtig um sich geblickt hatte, beugte sie sich über den Tisch und sagte halb flüsternd: «Sie sind Mrs. Harris. Ich würde nicht wagen, es offen zu sagen, aber ich finde, Sie sind wundervoll, und ich stimme vielem von dem zu, was Sie gesagt haben. Wenn wir den Wahlkampf in Ihrem Sinne geführt und mehr darüber nachgedacht hätten, wie man den Menschen helfen könnte, hätten wir bedeutend besser abgeschnitten.»
Und da waren noch ein paar andere, die sie manchmal
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