Ein kleiner Ritter um halb vier
überquerte und aufs Haus zulief. Doch als die Gestalt näher kam, sah er, dass es nur die alte Merschmeier war, die oben unterm Dach wohnte und eine rechte Hexe war.
Er seufzte.
Regen. Auch noch Regen. Nasser, kalter Oktoberregen. Theo trödelte noch eine gute halbe Stunde herum, bis kurz nach halb drei, während Papa versuchte, die Spülmaschine in Gang zu bringen, und schließlich verzweifelt aufgab.
»Ich muss Schätze der Natur suchen«, murmelte er Papa schließlich zu, dann schlüpfte er in seine Gummistiefel und zog sich seinen Regenmantel über, um zum Hausaufgabenmachen nach draußen zu gehen, in den nassen, kalten, traurigen Oktoberregen.
Ihre Lehrerin Frau Mollermann hatte ihnen in ihr Hausaufgabenheft diktiert, zehn ganz besondere Dinge aus der Natur aufzusammeln. Und die nächstbeste Natur, die Theo kannte, war der Vorgarten. Frau Merschmeier beschwerte sich sogar immer beim Hausmeister, dass es dort viel zu viel Natur gab und das Unkraut überall wucherte wie in einem Dschungel. Es versuchte sogar, die zweiGartenzwerge zu besiegen, die Frau Merschmeier hegte und pflegte – was sie besonders erboste.
Theo zog die Wohnungstür hinter sich zu, tapste missmutig durchs Treppenhaus und schob die Haustür auf.
Unentschlossen starrte er in den Regen. Der plätscherte leise und kalt auf das Mülltonnenhäuschen und die zwei mageren Bäume, an denen die gelben Blätter schon darauf warteten, auf die Rosenbeete hinunterzusegeln. Er tropfte auf den schiefen Gartenzaun, die zwei Zwerge und das kleine Tor, das zur Straße führte. Dort rauschten die Autos vorbei und Olaf, der Student, der über ihnen im ersten Stock wohnte und gerade einen Pappkarton mit Milch nach Hause schleppte, musste zur Seite springen, als ein Lastwagen durch eine Pfütze brauste.
» Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr «, rief Olaf, als er triefend an Theo vorbeistapfte, und zwinkerte ihm zu. »Ein Gedicht, verstehst du?«
Theo verstand, denn Olaf zitierte immer irgendwelche schlauen Gedichte, die er an seiner Universität gelernt hatte.
In einem kalten und traurigen Oktoberregen istes ziemlich schwierig, Schätze der Natur zu finden. Unter dem Gebüsch am Zaun lag immerhin ein Schneckenhaus. Und neben dem Mülltonnenhäuschen entdeckte Theo einen weißen Stein, der auch als Schatz durchgehen konnte.
Aber dann wollte sich nichts Besonderes mehr finden lassen.
Mist. Das waren nur zwei Schätze.
Frau Mollermann würde es auffallen, dass bei seiner Hausaufgabe noch etwas fehlte.
Da entdeckte Theo hinter den Mülltonnen den Spaten, mit dem der Hausmeister manchmal hantierte.
Er zögerte.
Wenn keine brauchbaren Schätze herumlagen, musste er eben nach ihnen graben!
Er zog den Spaten heraus – es war so gegen zehn nach drei – und schob die grüngraue Plastikfußmatte zur Seite, die vor der Haustür lag. Darunter war Kies und darunter warteten vielleicht noch acht ganz besondere Schätze der Natur auf ihn!
Nach dem Kies – es war inzwischen zwanzig nach drei – kamen rötliche Backsteinbrocken und die sahen schon ziemlich nach einem Schatz aus.
Gerade als Theo zwanzig Schaufeln Kies undfünf schöne Backsteinbrocken neben sich im Rosenbett aufgestapelt und ein beachtliches Loch vor der Haustür gegraben hatte, knallte es plötzlich entsetzlich hinter ihm.
Es war inzwischen genau halb vier.
Das Gartentor flog auf. Theo duckte sich. Mit lautem Geschrei und in vollem Galopp preschte der kleine Ritter an ihm vorbei.
»Tor zu!«, schrie er und fuchtelte mit seinem Schwert. »Das Ungeheuer ist hinter mir her! Zu Hilfe! Tor zu!«
Theo gab erschrocken dem Gartentor einen Fußtritt, sodass es scheppernd ins Schloss fiel. Von der Straßenseite war ein wütendes Fauchen zu hören.
Theo schloss die Augen und öffnete sie wieder.
Der kleine Ritter ritt auf einem braun gescheckten Meerschwein. Es trug einen rosa Sattel.
Das Nächste, was Theo sah, war, wie der kleine Ritter mitsamt dem rosa Meerschweinchen mit lautem Geschrei in das Loch purzelte, das Theo gerade gegraben hatte. Denn der Ritter war wirklich ziemlich klein und das Loch für ihn ziemlich groß.
Es schepperte gewaltig, dann war für einen Moment alles still.
Theo schluckte. Vielleicht war er eingeschlafen und in einen außerordentlich lebendigen Traum geraten? Aber der Regen tröpfelte immer noch auf ihn herab und auch sonst fühlte er sich ziemlich wach an.
»Ha!«, hörte er den kleinen Ritter aus dem Loch rufen. »Rosalinde! Eine Falle! Kaum dem
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