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Ein kleines Stück vom Himmel nur

Ein kleines Stück vom Himmel nur

Titel: Ein kleines Stück vom Himmel nur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amelia Carr
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in einem Haufen auf dem Boden liegen oder warf sie unordentlich über einen Stuhl. Sie schlüpfte aus ihrer schlichten Schulunterhose und stopfte sie in den Wäschekorb, dann packte sie ehrfürchtig die neue weiße Unterhose und den BH aus dem Seidenpapier, in das sie immer noch gewickelt waren, und zog sie an. Der BH fühlte sich ein bisschen zu eng an. Entwickelte sie sich endlich obenherum weiter? Sie hoffte es inständig. Als die kleinen Hügel aufgetaucht waren, hatte sie sie zuerst aus vollem Herzen gehasst und sie so schnell wie möglich mit ihrem Nachthemd bedeckt. Inzwischen wünschte sie sich jeden Abend, sie sollten doch endlich weiter wachsen; sie wollte einfach weiblicher und erwachsener aussehen als Katy und Betty Cross.
    Ellen öffnete die Verschlusshaken des neuen Kleides, das auf einem Bügel an der Schranktür hing, und zog es an. Sie löste das Band, das ihr Haar zu einem Pferdeschwanz zusammenhielt, und schüttelte es aus, bis es ihr wie ein goldglänzender Vorhang über die Schultern fiel. Sie legte einen Hauch von dem rosa Lippenstift auf, in dessen Kauf Nancy nur widerstrebend eingewilligt hatte, und tupfte sich Californian Poppy auf Nacken und Handgelenke. Dann schob sie die Füße in ein Paar bonbonrosa Pumps mit kleinem Pfennigabsatz und Zehenloch und begutachtete sich im Spiegel.
    Das Kleid stand ihr gut, genau wie im Laden. Sie sah zwar nicht elegant und mondän aus, aber immerhin älter. Ellen drehte sich ein bisschen hin und her, und die Röcke schwangen zufriedenstellend aus. Sie hoffte, dass man ihnen auf dem Ball erlauben würde, Rock ’n’ Roll zu tanzen, damit sie die Gelegenheit erhielt, ihre Röcke richtig schwingen zu lassen. Doch selbst wenn es nur beim langsamen Walzer bleiben sollte, würde sie sich nicht beklagen. Immerhin würde beim Walzer Kens Hand ruhig und fest auf ihrem Rücken liegen.
    Nein, sie sah wirklich passabel aus; sie hoffte nur, dass Ken das ebenfalls finden würde. Es gab bloß ein kleines Problem: Der Nylonstoff des Petticoats kratzte in der Taille. Womöglich kriege ich davon Hautausschlag, dachte sie. Zwar würde niemand es sehen, aber sie wollte kein unangenehmes Gefühl am Körper haben. Bei dieser Gelegenheit musste alles perfekt sein.
    Was sie brauchte, war ein Mieder. Ellen besaß natürlich keines, aber sie wusste, dass ihre Mutter eins hatte. Es war aus cremefarbener Seide und mit Spitze eingefasst.
    Ob sie es mir borgen wird?, überlegte Ellen. Sie ging in Nancys Schlafzimmer, das nach vorne raus gelegen war, mit Blick auf den Mimosenbaum, und zog die Kommodenschublade auf, in der Nancy ihre Unterwäsche aufbewahrte. Sie musste ein bisschen kramen, bis sie das Mieder fand; Nancy hatte wahrscheinlich im Augenblick selbst nicht allzu viele Gelegenheiten, es zu tragen. Als sie es herauszog, kam noch etwas mit und fiel auf den Boden. Ein Luftpostumschlag. Er hatte das charakteristische blau-rote Muster in den Ecken, und das Papier fühlte sich zwischen ihren Fingern dünn und empfindlich an. Der Umschlag war in einer kräftigen, steilen Handschrift an ihre Mutter adressiert. Eine Briefmarke hatte er nicht, das Porto war bereits durch den Kauf des Umschlags mitbezahlt, aber der Poststempel war erkennbar: Gloucester, England.
    Ellen betrachtete den Umschlag und hatte das Mieder völlig vergessen. Wer mochte aus Gloucester in England an ihre Mutter geschrieben haben? Ellen hatte ihre Mutter diesen Ort noch nie erwähnen hören. Eigentlich wollte sie den Umschlag in die Schublade zurücklegen, zögerte aber dann, denn die Neugier hatte sie gepackt. Sie wusste, dass sie nicht herumschnüffeln sollte, doch die Versuchung war zu groß. Wer sollte schon davon erfahren? Sie faltete den Brief auseinander und begann ihn zu lesen. Zunächst überflog sie ihn nur, während sie den Blick immer wieder auf die Einfahrt richtete, falls Nancy unerwartet nach Hause kommen sollte. Doch als sie den Inhalt erfasst hatte, überkam sie ungläubige Fassungslosigkeit, und sie las den Brief noch einmal gründlicher. Alles andere um sie her war vergessen – der Schulball, das Mieder, die Möglichkeit, dass man sie hier im Zimmer ihrer Mutter dabei ertappte, wie sie die Geheimnisse ihrer Mutter las.
    Ellens Welt, die ihr bisher so selbstverständlich und gewiss erschienen war wie die Luft zum Atmen, brach in sich zusammen. Nichts konnte mehr so sein wie

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