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Ein kleines Stück vom Himmel nur

Ein kleines Stück vom Himmel nur

Titel: Ein kleines Stück vom Himmel nur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amelia Carr
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anders zu sein, ein Fremder in ihrer Familie. Der ältere Bruder, den sie immer bewundert, ja angehimmelt hatte. Der sie auf seiner Fahrradstange mitgenommen hatte, ehe sie ein eigenes Fahrrad bekam, der seine Süßigkeiten mit ihr geteilt hatte. Der einmal, als sie in den Schlamm gefallen war, ihr T-Shirt und ihre Shorts im Fluss gewaschen und zum Trocken an einem Busch aufgehängt hatte, damit Nancy nicht erfuhr, dass Ellen heimlich im Mangrovensumpf gespielt hatte, was Nancy ihr ausdrücklich verboten hatte. Dem sie zugejubelt hatte, bis sie heiser war, wenn er mit der Schulmannschaft Football spielte oder bei einem Wettkampf schwamm. Auf den sie unendlich stolz gewesen war, wenn er mit einer Medaille um den Hals auf dem Siegerpodest stand. Er hatte ihr eine seiner Medaillen geschenkt; sie hing an dem Spiegel auf ihrem Nachttisch, gleich neben der Rosette, die sie selbst im Ponyclub gewonnen hatte. Nur ein dritter Platz, und es hatten ohnehin nur drei Kinder an diesem besonderen Anfängerturnier teilgenommen, obwohl Ellen das Außenstehenden gegenüber wohlweislich verschwieg. Jedenfalls war es keine echte Siegermedaille wie die von John.
    John, der groß und gutaussehend war mit seinen ebenmäßigen Gesichtszügen. Der kluge Junge, der bei allem Erfolg hatte, was er anfasste. John, der nett und lustig war – und geduldig. John, der gar nicht ihr Bruder war. Nun, nicht richtig jedenfalls.
    Tränen traten Ellen in die Augen. Nancy hatte sie hintergangen. Sie hatte die ganze Familie getäuscht. Wusste John darüber Bescheid? Sie glaubte es nicht. Wusste Joe es? Er musste es doch wohl wissen, das konnte man sich doch gar nicht anders vorstellen. Trotzdem hatte er nie auch nur mit einem Wort oder einer Geste angedeutet, dass er es wusste. Er hatte nie einen Unterschied zwischen den Kindern gemacht, im Unterschied zu Nancy. Ellen sah es jetzt ganz deutlich: Nancys Stolz, ihre Zärtlichkeit, das Widerstreben, auch nur den kleinsten Fehler Johns einzugestehen; die Bereitschaft, kleine Vergehen zu übersehen, die zwar selten waren, aber dennoch vorkamen. John war für Nancy ein Kind der Liebe. Unser Kind , ihres und Macs.
    Â»Mom, ich ziehe lieber mal mein Kleid aus, ehe es zerknautscht«, rief Ellen. Sie hastete die Stufen wieder hinauf, in ihr eigenes Zimmer. Sie ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen, schlug die Hände vors Gesicht und brach in Tränen aus.
    Ellen behielt ihre Entdeckung für sich. Ein- oder zweimal lag es ihr auf der Zunge, etwas zu sagen, als Nancy wieder einmal Ritchie für ein Fehlverhalten rügte oder John wegen eines neuen Erfolgs lobte, aber sie hielt den Mund, obwohl die Ungerechtigkeit in ihr brannte wie ein Steppenfeuer und noch lange schwelte. Sie behielt ihre Entdeckung für sich wie ein schmutziges Geheimnis, was es ja letztendlich auch war. Sie wurde missmutig und verschlossen, und auch der Ball mit Ken Kelsey war ihr gründlich verdorben worden. Sie würde das neue Kleid mit dem kratzigen Petticoat bis in alle Ewigkeit nicht etwa mit der glücklichen Erinnerung an einen aufregenden Abend verbinden, sondern mit der schrecklichen Entdeckung, dass in ihrer Familie nichts so war, wie es zu sein schien.
    Diese Entdeckung hatte alles beeinflusst; sie hing über ihr wie eine dichte Wolke, die sich nicht verziehen wollte, obwohl sie ihr Möglichstes versuchte, die Gedanken daran wenigstens während des Balles zu verdrängen. Zuerst hatte das auch funktioniert; sie hatte Ken angeschaut, der chic und adrett in einem neuen, sehr erwachsen wirkenden Smoking vor ihrer Tür stand, und hatte ein aufgeregtes Kribbeln verspürt. Sie war stolz gewesen, mit ihm die Schulaula zu betreten, die zur Feier des Tages mit Luftballons und Fahnen geschmückt war. Schaut alle her , hätte sie am liebsten gerufen, Ken Kelsey hat mich zur Tanzpartnerin gewählt! Doch dann unterhielten sie sich, und er erkundigte sich nach ihrem Bruder, der gerade sein Fahrrad in der Auffahrt geputzt hatte, als Ken und sein Vater sie abholen kamen. Statt begeistert von John zu erzählen, wie sie es noch vor ein paar Tagen getan hätte, reagierte sie verschlossen. Und als man It’s Now Or Never von Elvis Presley als letzten Tanz spielte und Ken sie so dicht an sich zog, dass der Rhythmus zwischen ihren Körpern zu pulsieren schien, konnte sie bloß daran denken, wie ihre Mutter in den Armen von jemandem gelegen hatte, der nicht ihr

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