Ein kleines Stück vom Himmel nur
nahm Nancy die StraÃenbahn, die beinahe direkt vor dem Krankenhaus hielt. Allerdings lag die Haltestelle, an der sie einsteigen musste, ein ganzes Stück von ihrem Haus entfernt, und bis dahin musste sie zu Fuà laufen und John auf den Schultern tragen, weil der Kinderwagen nur schlecht in die StraÃenbahn zu bugsieren war und die anderen Mitfahrer störte.
Am Donnerstag der zweiten Woche machte Nancy wie gewöhnlich ihren Besuch im Krankenhaus. Es war heià und schwül, und als sie aus dem Krankenhaus kam, sah sie schon die dichten Sturmwolken, die sich dunkel und drohend über dem Meer zusammenballten. Sie fluchte leise vor sich hin.
»So ein Mist, John! Ich hoffe bloÃ, dass wir es noch vor dem Regen nach Hause schaffen. Wenn nicht, dann werden wir von oben bis unten durchnässt.«
Sie blickte aus dem Fenster der StraÃenbahn und betrachtete besorgt den Himmel. Die Sonne war schon nicht mehr zu sehen, sie verbarg sich hinter einem Dunstschleier, und nur ab und zu drangen noch vereinzelte helle Strahlen hindurch. Nancy wünschte, sie wäre gar nicht erst ins Krankenhaus gefahren. Dorothy schien noch nicht einmal besonders erfreut über ihren Besuch gewesen zu sein; die ganze Besuchszeit lang hatte sie nur über dies und jenes gejammert. Das Essen schmeckte ihr nicht, die anderen Patienten machten sie wahnsinnig, sie brauchte ein neues Nachthemd, ihr Haar musste dringend geschnitten werden. Auf jeden Fall ein sicheres Zeichen dafür, dass es ihr wieder besser geht, dachte Nancy. Doch es war anstrengend, Dorothys Genörgel anzuhören und gleichzeitig John bei Laune zu halten. Ständig musste Nancy hinter ihm herrennen, wenn er über den Fliesenboden davonschoss. Er krabbelte inzwischen, und wenn er wollte, war er so schnell wie ein geölter Blitz; Arme und Beine arbeiteten wie Kolben, während der Po in dem Spielhöschen in die Höhe ragte.
Als die StraÃenbahn an ihrer Haltestelle angekommen war, stieg Nancy aus, hob John auf die Schultern und machte sich so schnell, wie es die unerträgliche Hitze erlaubte, auf den Heimweg. Vielleicht schafften sie es ja doch noch, ehe der Sturm losbrach.
Als sie in ihre StraÃe einbog, sah es so aus, als ob in der Einfahrt vor Dorothys Haus ein Auto parkte. Das konnte aber nicht sein. Joe war der Einzige aus der Familie, der ein Auto besaÃ, und er hatte zurzeit keinen Urlaub. AuÃerdem war sein Wagen grau, das Auto, das dort stand, aber schwarz. Wahrscheinlich verursacht das komische Licht eine optische Täuschung, dachte Nancy, und das Auto steht in der Nachbareinfahrt. Doch als sie näher kam, erkannte sie, dass sie sich nicht getäuscht hatte. Das Auto stand wirklich in ihrer Einfahrt.
Zunächst glaubte Nancy, dass Dorothy Besuch bekommen hatte. Sie hatte Verwandte in Daytona, und obwohl sie zu ihnen kaum Kontakt hielt, hatte Nancy ihnen von Dorothys Erkrankung berichtet. Nancy beeilte sich noch mehr. SchlieÃlich war es keine besonders schöne BegrüÃung, wenn diese Leute den ganzen Weg hierher unternommen hatten, nur um dann niemanden anzutreffen.
Sie bog in die Auffahrt ein und musterte den Wagen. Wer immer der Fahrer war, er saà noch drinnen. Da öffnete sich die Fahrertür und ein Mann stieg aus. Groà und schlank, in weiÃem Hemd und brauner Hose. Dunkle Haare umrahmten ein kantiges Gesicht. Nancy erstarrte, ihr Herz schien stillzustehen â und mit ihm die ganze Welt.
Das konnte nicht wahr sein! Das war nicht möglich. Sie schnappte nach Luft und atmete dann in einer Art fragendem Seufzer wieder aus.
»Mac?«
Er lächelte sie an, dieses schiefe Grinsen, das sie immer direkt ins Herz getroffen hatte.
»Hallo, Nancy.«
Wenn Nancy sich in den kommenden Jahren an diesen Augenblick erinnerte, sah sie ihn immer als Kaleidoskop von widerstreitenden Gefühlen: ungläubiges Erstaunen, Fassungslosigkeit und sogar eine Art plötzliche Schüchternheit. Aber vor allem Freude, unbändige, überwältigende Freude. Sie hatte geglaubt, er sei tot oder zumindest Kriegsgefangener in einem dieser fürchterlichen Lager. Sie hätte nie damit gerechnet, ihn noch einmal wiederzusehen. Doch da war er, lebendig und gesund, weder verstümmelt noch entstellt wie manche der heimgekehrten Soldaten, die sie bei ihren Besuchen im Krankenhaus gesehen hatte. Sie hätte ihn am liebsten berührt und sich vergewissert, dass er wirklich war und nicht ihrer
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