Ein König für Deutschland
nickte dabei in Richtung der Wand, wo ein hüfthoher, mahagonifarbener Aktenschrank stand, und jetzt erst sah Vincent, dass darauf ein Ethernetkabel lag, direkt vor einer abschließbaren Anschlussdose. Was es alles gab!
Der Direktor ging strammen Schrittes zur Tür, rief den Wärter herein und instruierte ihn: »Sie bleiben hier und passen auf, dass er nichts anstellt. Wenn er fertig ist, bringen Sie ihn zurück und informieren mich. Ich bin in der Bibliothek.« Dann schnappte er sich eine lederne Mappe, zwei Ordner und einen Füllfederhalter und ging ohne ein weiteres Wort.
Der Wärter bezog Posten auf einem Stuhl neben der Tür, die denkbar falscheste Stelle für seinen Job, und sagte finster: »Also, Sie haben den Direktor gehört. Beeilen Sie sich.«
Vincent spreizte die Finger über der Tastatur. Ja, er hatte den Direktor gehört.
***
Am Mittwoch der darauffolgenden Woche beeilte sich Vincent mit dem Frühstück. Wie erwartet, tauchte mittendrin wieder ein Wärter auf – ein anderer diesmal –, wieder mit dem Auftrag, ihn zum Direktor zu bringen.
»Es ist wie verhext«, erklärte ihm dieser aufgebracht. »Auf einmal geht gar nichts mehr. Was haben Sie denn gemacht? Ich dachte, Sie verstehen was davon?«
Vincent zog devot den Kopf ein und sagte: »Das heißt, Sie haben doch einen Virus auf Ihrem PC.« Was das anbelangte, gab es nicht viel zu raten: Da war ein Virus. Eine ganz primitive Routine, die Vincent beim letzten Mal mithilfe des für derlei Dinge eigentlich nicht gedachten debug -Befehls gebastelt hatte. Reiner Binärcode, direkt in den Bootsektor geschrieben. Vincent war nicht wenig stolz, dass es tatsächlich funktioniert hatte.
»Ich dachte, den wollten Sie wegmachen?«
»Für den Fehler beim letzten Mal kamen mehrere verschiedene Ursachen infrage«, erklärte Vincent. »Die anderen Fehlerquellen habe ich alle beseitigt. Aber um einen Virus aufzuspüren, brauche ich ein spezielles Programm.« Rasch fügte er hinzu: »Ich wüsste, wo ich eines aus dem Internet laden könnte. Ich könnte es ja unter Ihrer Aufsicht tun.«
Der Direktor lehnte sich zurück, lächelte geringschätzig. »Sie denken, weil Sie mir erzählen können, was Sie wollen. Nein, das machen wir anders. Sie werden dieses Programm herunterladen, aber unter Aufsicht eines Fachmanns.« Er griff nach dem Telefon, wählte eine Nummer. »Damon? Kommen Sie bitte?«
Der Fachmann, der zwei Minuten später zur Tür hereingehetzt kam, war blass, hatte schlimme Akne und konnte kaum älter als zwanzig sein. In Gegenwart des Direktors schien er sichtbar zu schrumpfen. Das war der Systemadministrator? Vincent hatte Mühe, ein ausdrucksloses Gesicht zu bewahren. Wahrscheinlich, sagte er sich, hatten sie keinen anderen gefunden. Ein Job im Knast war schließlich nicht gerade das Idealbild einer IT-Karriere.
»Alles klar?«, schnauzte der Direktor, während er seinen Sessel räumte und sich wieder mit seiner Ledermappe bewaffnete. »Sie schauen ihm auf die Finger und passen auf, dass er keinen Unsinn anstellt. Ich bin in der Bibliothek, und wenn ich zurückkomme, erwarte ich einen virenfreien PC.« Er warf Vincent einen letzten drohenden Blick zu, wies den Wächter im Hinausgehen an, vor der Tür zu warten, und entschwand.
Vincent hatte mit einer derartigen Situation gerechnet und die vorangegangenen Tage damit verbracht, sich verschiedene Plänezurechtzulegen. Während er sich vor dem Rechner des Direktors einrichtete, verwickelte er Damon, den Fachmann, in ein Gespräch, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie es um dessen Fachwissen bestellt war.
Wie es aussah, war davon quasi nichts vorhanden.
Gut.
Vincent startete den Rechner neu, ließ Damon an die Tastatur, blieb aber so stehen, dass er genau sehen konnte, was für ein Passwort er eintippte: Der brave Damon merkte nicht mal das.
Noch besser.
Anschließend rief er in wilder Folge allerlei Programme aus dem Systemordner auf, machte »Hmm, hmm«, öffnete schließlich den Browser und gab eine Adresse ein, von der er wusste, dass sie nicht existierte. Worauf die entsprechende Fehlermeldung erschien.
»Da stimmt was nicht«, sagte Vincent. »Ist der Stecker richtig drin?«
Damon nickte. »Ja. Der rastet ein.«
»Das sagt wenig. Der Stecker scheint trotzdem einen Wackelkontakt zu haben«, behauptete Vincent. »Warten Sie, ich pinge die Adresse mal an.« Er öffnete ein Terminalfenster, rief das Ping-Programm 80 mit der gleichen Adresse auf. Natürlich lieferte das auch nur einen
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