Ein König für Deutschland
und Gedanken angesammelt hatte. Zumindest hatte er damit Aufregung verursacht, wenn schon sonst nichts daraus werden würde. Alex würde zufrieden sein, der all das hier letzten Endes ins Leben gerufen hatte und dem er seit gestern dankbar dafür war.
Trotzdem war Simon froh, als die Pressekonferenz endlich vorüber war. Zum ersten Mal freute er sich, dass es heute Abend wieder ein Fest geben würde, wie jeden Abend. Diesmal würde er tanzen. Er tanzte nicht gut; alles, was er je gelernt hatte, war in all den einsamen Jahren eingerostet. Aber er wollte üben, für übermorgen, wenn Helene zurückkam.
***
Helene kam zurück, um ihn flüchtig zu küssen und sogleich in Frau Volkers Nähstube wieder zu verschwinden. Stunde um Stunde verbrachte sie in diesem geheimnisvollen Reich, um zu guter Letzt in einem Hofkleid mit Reifrock und Schleppe zum Vorschein zu kommen, das ihr stand, als sei sie dafür geboren.
Simon fielen fast die Augen aus dem Kopf, als er sie in voller Pracht sah. Wie gut, dass er das Tanzen geübt hatte! Denn wie sich in den darauffolgenden Tagen zeigen sollte, war Helene eine Frau, die überhaupt nicht genug bekommen konnte von den Festen, dem Tanzen, dem Pomp.
Zum ersten Mal, seit dieses Unternehmen lief, wäre es Simon lieber gewesen, es hätte nicht so bald wieder ein Ende gefunden. Am besten gar keines.
Er musste an Alex denken und wie er eingestanden hatte, dass er davon träumte, völlig in einem Spiel zu verschwinden. Er konnte ihn auf einmal verstehen.
KAPITEL 40
E s ist etwas Geheimnisvolles dabei, auf einen bestimmten Tag zu warten, und zwar ganz gleich, ob man diesen Tag herbeisehnt wie Heiligabend als Kind oder ob man ihn fürchtet wie den Termin einer Wurzelbehandlung beim Zahnarzt: So lange ist dieser Tag noch nicht gekommen, so lange ist er Zukunft, dehnt sich die Zeit, bis man schließlich beinahe glaubt, dass der Tag niemals kommen wird.
Und dann – kommt er irgendwann doch.
Wie dieser Tag, der Tag der Wahl. Noch war dieser Tag jung, die Wahllokale öffneten erst in einer Stunde. Simon stand im Bad und ließ, während er sich abtrocknete, den Blick schweifen, erfüllt von einem Gefühl des Abschiednehmens. All das hier würde heute enden. Nicht, dass er all den Prunk vermissen würde; er würde sich auch in seiner vertrauten alten Wohnung wieder wohlfühlen.
Aber da war eben die Sache mit Helene.
Helene, die er noch nie so glücklich erlebt hatte wie in diesen Wochen und Tagen, in ihrer Rolle als Königin.
Am Freitag nach dem Mittagessen hatte sie sich umgezogen, dem Ruf der Pflicht folgend. Ganz fremd hatte sie ausgesehen in dem schlichten, dunkelblauen Kostüm, die Haare nicht mehr hochgesteckt, nicht mehr mit Perlen und Spangen geschmückt. Sie schien sich auch selber fremd gefühlt zu haben, ihren Autoschlüssel und ihren ledernen Terminkalender wie Fremdkörper in Händen, als sie »Tja, dann muss ich mal« gesagt und ihn zum Abschied scheu geküsst hatte.
Gestern hatte sie angerufen. Es gab ein paar Verzögerungen, aber im Großen und Ganzen schien der Systemwechsel zuklappen. Heute Abend werde sie wieder da sein, hatte sie versprochen. Je nachdem, wie voll die Straßen waren, vielleicht noch vor Bekanntgabe der Wahlergebnisse.
Was ab morgen sein würde, darüber hatten sie nicht geredet. Ob sie bei ihm bleiben würde, auch wenn er nicht mehr den König spielte? Simon wusste es nicht, hatte sie nicht danach fragen wollen. Wahrscheinlich hätte sie es ihm auch nicht sagen können.
Wie sich die Stimmung verändert hatte, als Simon nach dem Frühstück seinen üblichen Rundgang durch das Schloss machte! Wie all die Tage zuvor grüßte er jeden, der ihm begegnete, und wurde zurückgegrüßt. Wie sehr er es schon gewöhnt war, mit »Hoheit« angesprochen zu werden, merkte er daran, dass es ihm auffiel, ja, ihn regelrecht irritierte, wie viele heute einfach nur »Guten Morgen, Herr König« zu ihm sagten. Die Vorbereitungen für die Wahlparty am Abend liefen schon auf Hochtouren, doch in vielen Gesichtern las Simon Traurigkeit, zumindest aber Ernüchterung. Es kam den Leuten wieder zu Bewusstsein, dass alles nur ein Spiel gewesen war.
Nicht jedem freilich. Frau Volkers wirbelte, kommandierte, war in ihrem Element. Sie hatte alle Hände voll zu tun, die »Hofdamen« für ein letztes rauschendes Fest herauszuputzen, mit phantastischen Frisuren und frisch gestärkten, weit gebauschten Röcken. »Und Sie will ich auch noch ein bisschen königlicher schniegeln!«, knurrte
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