Ein König für Deutschland
Dinge, die niemand anders als sie selbst erledigen konnte. Und ausgerechnet für den 26. und 27. September, das Wochenende der Bundestagswahl, war ein Update der Computersysteme im Verlag angesetzt. Daran war nicht zu rütteln, nicht im Traum. Am Freitagabend würden alle Rechner im gesamten Verlagshaus abgeschaltet und anschließend komplett ausgetauscht werden. Man würde neue Software aufspielen, die bisherigen Daten übernehmen, und bis Sonntagabend musste alles laufen. Ein Wahnsinnsprojekt, aber das hatte sich der technische Vorstand so in den Kopf gesetzt. An dem Tag durfte sie nicht fehlen, ausgeschlossen. Allenfalls einHerzstillstand würde als Entschuldigung für Abwesenheit durchgehen; mit jedem anderen Grund brauchte sie am Montag erst gar nicht wiederzukommen …
Aber bis dahin war es noch lang hin. Wenn sie heute zurückfuhr, um die notwendigsten Dinge zu regeln, dann würde sie, mit ein paar Unterbrechungen dann und wann, den Rest der Zeit hier auf dem Schloss verbringen können.
Und davon würde sie sich nicht abbringen lassen. Sie würde heute fahren, sobald Frau Volkers die Maße für ihr Kleid genommen hatte, und übermorgen Mittag zurück sein zur Anprobe …
»Königin Helene«, flüsterte sie unhörbar in die Stille des Roten Salons.
Wenigstens für ein paar Wochen.
KAPITEL 39
D iese Pressekonferenzen uferten allmählich aus. Inzwischen fasste nicht einmal mehr der Rittersaal all die Journalisten, Kameraleute und Berichterstatter, die sich mit ihren Kameras und Mikrofonen aufbauten. Simon fragte sich, ob die Bundeskanzlerin, wenn sie aus dem Fernseher zu sprechen schien, auch in einen solchen Wald an Gerätschaften starren musste. Bestimmt, es ging ja technisch nicht anders.
In Gedanken war er noch bei Helene, als er sich setzte, aber der Anblick der vielen dunklen Linsen und der vielen, größtenteils gelangweilt dreinblickenden Gesichter brachte ihm wieder in Erinnerung, was er sich zurechtgelegt hatte. Denn sich etwas zurechtzulegen, das gehörte mittlerweile zu seinen Pflichten. Man erwartete von ihm, dass er jedes Mal einen originellen Gedanken brachte, einen ungewöhnlichen Gesichtspunkt, einen provozierenden Vorschlag. Die üblichen Sprechblasen der Politik, mit denen die etablierten Amtsträger durchkamen, wollte man von ihm nicht auch noch hören. Er war der politische Clown, damit hatte er sich abgefunden.
Und es war ihm gar nicht so unlieb. Der Narr bei Hofe – war das nicht traditionell die Figur, die alles sagen durfte, sogar die Wahrheit?
Alex tauchte neben ihm auf, strahlend wie immer, wenn so viel los war, dass man meinte, es müsse im nächsten Moment das völlige Chaos ausbrechen. »Toll, was?«, sagte er. »Ich denke jeden Tag, das ist jetzt der Rekord, aber dann kriegen wir immer noch mehr Zulauf.« Das Strahlen verschwand aus seinem Gesicht. Er beugte sich herab und fuhr leise fort: »Kann ich Sie mal kurz sprechen, ehe das hier losgeht?«
»Sie sprechen doch schon mit mir?«
»Nebenan«, erwiderte Alex und nickte in Richtung einer von dem Vorhang hinter dem Podium halb verdeckten Holztür. »Es ist wichtig.«
Nebenan war ein kleines Gelass, ein Durchgang zur Küche mit unebenen, weiß getünchten Wänden. Nach all dem Prunk, an den sich Simon in den übrigen Räumen des Schlosses gewöhnt hatte, kam es ihm hier ungewohnt kahl vor.
Alex machte beide Türen sorgsam zu. »Es geht um Ihren Sohn. Sie sagten, er kommt eine Woche nach den Bundestagswahlen frei?«
Simon nickte. »Das war der letzte Stand.«
»Wie sicher ist dieses Datum?«
»Schwer zu sagen.« Simon versuchte wiederzugeben, was Lilas derzeitiger Lebensgefährte, ein Anwalt namens Bruce Miller, ihm erklärt hatte: Das Datum der Entlassung aus der Haft richtete sich zwar grundsätzlich nach dem vom Richter festgelegten Strafmaß, das aber konnte sich bei schwerwiegenden Verstößen gegen die Hausordnung verlängern, während gute Führung – oder, was auch häufig vorkam, aktueller Platzmangel – bisweilen zu einer früheren Entlassung führte.
»Die Bauchschmerzen, die ich damit habe«, erklärte Alex, »sind folgende: Sie wissen ja, nach einer Wahl überschlagen sich oft die Ereignisse. In den Medien jagt eine Schlagzeile die andere, je nach Ergebnis geht es drunter und drüber, dafür ebbt das öffentliche Interesse auch immer bald wieder ab. Das ist eine Frage von Tagen, verstehen Sie? Und was unser Projekt betrifft, würde ich gern den optimalen Zeitpunkt auswählen können, um die Bombe
Weitere Kostenlose Bücher