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Ein König für Deutschland

Ein König für Deutschland

Titel: Ein König für Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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Gekleideten seufzten. War bis eben noch gespannte Aufregung im Raum zu spüren gewesen, verflüchtigte sich diese nun zu kalter, fader Enttäuschung. Manche der Frauen suchten Platz auf einem der Polsterstühle, die in großer Zahl entlang der Wände standen. Männer zuckten mit den Schulternoder gaben anderweitig zu verstehen, dass sie selbstverständlich nichts anderes erwartet hatten, vernünftig, wie sie waren.
    »Da kommt schon die zweite Hochrechnung«, verkündete der eine Moderator.
    »Das geht schnell heute«, meinte der andere.
    Wieder wich das Bild der beiden Männer einem blassen Rechteck, auf dem sich farbige Balken erhoben. Schwarz … rot …
    Und blau.
    »Ist das ein Fehler?«, fragte einer der Moderatoren. »Das sieht aus wie blau. Sollte das nicht … Ah, ich höre gerade von unseren Mathematikern, dass das kein Fehler ist.«
    »Aber wofür steht blau?«
    Ein Moment atemloser Stille, dann: »Blau steht für VWM.« Ein Räuspern. »Das, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, ist nun eine echte Überraschung. Das sieht aus, als hätte die Volksbewegung zur Wiedereinführung der Monarchie , die in den letzten Wochen so viel mediale Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, mehr Anklang gefunden, als alle Experten für möglich gehalten hätten.«
    »Wenn das stimmt, dann haben wir es wohl doch nicht mit einer Spaßpartei zu tun?«
    »Nein. Bei fast dreiundzwanzig Prozent der Stimmen kann man beim besten Willen nicht mehr von einer …«
    Der Rest seines Satzes ging in unvermittelt losbrechendem Jubel unter. Die Festteilnehmer rissen die Arme hoch, schrien, hüpften in die Höhe, schlugen die Hand vor den Mund oder fielen sich um den Hals. Niemanden hatte es auf den Stühlen gehalten. Die Temperatur im Saal schien schlagartig um zehn Grad gestiegen zu sein.
    Psst! hieß es und Still! , als die dritte Hochrechnung angekündigt wurde. Atemlos standen sie da, starrten auf den Bildschirm, manche mit gefalteten Händen.
    War es doch nur ein Ausrutscher gewesen, ein böser Scherz, ein Rechenfehler?
    Wieder die Balken. Schwarz. Rot.
    Und wieder blau. Erleichterung. Der blaue Balken stieg, stieg …
    »Danach zieht die VWM mit den großen Volksparteien gleichauf«, konstatierte der Moderator, hörbar um Fassung bemüht. »Damit hätte, glaube ich, niemand von uns gerechnet. Das heißt, die erst vor Kurzem gegründete Partei ist auf Anhieb zu einer bedeutenden politischen Kraft in Deutschland geworden.«
    »Auf die Koalitionsverhandlungen kann man jetzt schon gespannt sein«, versuchte sein Kollege zu scherzen. »Da ergeben sich ganz neue Farbkonstellationen.«
    »Die Frage, die sich jetzt schon stellt, ist, wie das Ausland darauf reagieren wird. Auch wenn die VWM ihre Ziele natürlich trotz dieses respektablen, ja, nachgerade unglaublichen Ergebnisses nicht wird umsetzen können, Deutschland also dennoch keinen König bekommen wird, dürfte allein das Stichwort ›Monarchie‹ alte Ressentiments wachrufen.«
    »Vor allem in den europäischen Nachbarstaaten wird man mit der Monarchie in Deutschland immer noch Kaiser Wilhelm verbinden, wird an die unglückselige deutsche Großmannssucht vor dem Ersten Weltkrieg denken, an markige Sprüche wie ›Gefangene werden nicht gemacht‹ …«
    Einige der Feiernden hatten einander untergehakt, hüpften auf und ab und skandierten: »Simon! Simon! Simon!« Immer mehr taten es ihnen gleich, bis der ganze Saal von rhythmischen Sprechchören erfüllt war.
    Die vierte Hochrechnung.
    Diesmal war der erste Balken blau.
    Und er hörte gar nicht mehr auf zu steigen.
    »Ich bin sprachlos«, bekannte der Moderator. »Fünfzig Komma drei Prozent – das ist die absolute Mehrheit für die VWM ! Meine Damen und Herren, Sie sehen mich ratlos. Das hat es noch nie gegeben. Kann sich an diesem Trend noch etwas ändern? Ich sehe auch unsere Statistiker fassungslos. Jemand rauft sich buchstäblich die Haare …«
    »Man kann mit Fug und Recht von einem historischen Tag sprechen«, kam ihm der andere zu Hilfe. »Wie es aussieht, wird die VWM, dieser absolute Newcomer auf der politischen Bühne, Deutschland demnächst regieren.«
    Von den Buffettischen im Ballsaal her drang Gläserklirren durch den überschäumenden Jubel. Champagnerkorken knallten. Alles schrie und lachte durcheinander.
    Die Musiker der Band, in Rokokokostüme gekleidet, erklommen die Bühne, auf der klassische Instrumente wie Violine und Cembalo einträchtig neben Synthesizern, Schlagzeug und Elektrogitarre standen.
    »Die fünfte

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