Ein König für Deutschland
das die Überraschung?«
Alex lächelte. »Nein. Die wartet im Hotel auf Sie.«
***
Das also war sein Vater.
In dem Moment, in dem er ihm gegenüberstand, in einer Suite, die noch größer und noch pompöser war, die wahrhaftigetwas von einem Königsschloss ausstrahlte, meinte Vincent zu erkennen, dass sein Vater sich genauso unwohl und fremd in all dem Prunk fühlte, wie er selber sich vorhin gefühlt hatte. Das war schon mal eine Gemeinsamkeit.
Ja, ehrlich gesagt hatte er sich durchaus vorgestellt, dass dies ein besonderer Augenblick sein würde. Das war also der Mann, den er damals in den Tagebüchern seiner Mutter aufgestöbert hatte. Der seinen Brief beantwortet hatte. Mit dem er ab und zu telefoniert hatte, ohne dass es ihm gelungen war, ihn sich vorzustellen: Hier stand er.
War es nun ein besonderer Augenblick? Ja. Und nein. Da waren die Ähnlichkeiten in den Gesichtszügen, die sofort auffielen. Was das anbelangte, war alles wie erwartet.
Doch was Vincent irritierte, war, dass sich kein Gefühl von Verwandtschaft einstellen wollte.
Es fiel ihm schwer, diesen Mann mit »Dad« anzureden. Er merkte, wie er das sogar zu vermeiden versuchte. Dad? Wenn, dann hätte Bruce ein Recht darauf gehabt, von ihm so genannt zu werden. Bruce, der ihn mit auf eine Wandertour genommen und ihm beigebracht hatte, wie man ein Zelt aufstellte. Nicht dass Vincent je viel mit diesem Wissen angefangen hätte – aber Bruce hatte ihn jedenfalls gemocht.
Sein Vater dagegen hatte ihn nur gezeugt .
Sie redeten lange miteinander. Zuerst unter vier Augen, dann kam Simons Ehefrau dazu, bei der er das Gefühl hatte, dass sie ihn kritisch musterte. Was Vincent verständlich fand.
So erfuhr er, was sein Brief mit der CD angerichtet hatte. Wie sie auf die Idee mit der Parteigründung gekommen waren. Und wie sich alles daraus entwickelt hatte. Letzten Endes, erklärte sein Vater ihm in seinem grammatikalisch korrekten, aber stark dialektgefärbten Englisch, sei alles so gekommen, weil er in seinem, Vincents, Interesse die Hintergründe der ganzen Aktion nicht eher hatte aufklären dürfen.
»Oder anders gesagt«, meinte er, »weil du dieses Auto gestohlen hast, soll ich nun zum König gekrönt werden.«
Unwillkürlich musste Vincent grinsen.
Na, das war doch was. Vom Präsidentenmacher zum Königsmacher.
Hier war er richtig.
***
Das also war sein Sohn.
Dass er es war, stand außer Zweifel. An dem erwachsenen, leibhaftigen Vincent Merrit ließen sich die physiognomischen Ähnlichkeiten noch zweifelsfreier erkennen als auf den Fotos des Kindes, das ihm damals den Brief geschrieben hatte.
Simon hatte sein Leben lang mit Kindern zu tun gehabt, deren Werdegang verfolgt, ihre Stärken und Schwächen einschätzen gelernt. Seit er von einem leiblichen Sohn wusste, hatte er sich gefragt, ob sich bei einer Begegnung mit ihm das Gefühl einstellen würde, es mit eigen Fleisch und Blut zu tun zu haben.
Nun wusste er: Es war nicht so.
Der Junge konnte natürlich nichts dafür. Was fehlte, war das gemeinsame Leben. Die Erlebnisse, die einen verbanden, die Streits und geteilten Freuden, das sich Aneinander-Abschleifen im Lauf der Jahre, das einen selbst genauso formte wie den anderen. Er war nicht da gewesen, als dieser junge Mann ein Kind gewesen war, und das ließ sich nicht mehr nachholen.
Eigentlich, sagte sich Simon, hätte er es wissen können. Er hatte oft genug mit Eltern adoptierter Kinder gesprochen, die ihm genau das erzählt hatten, alle.
Das Abenteuer, das mit der Ankunft einer CD begonnen hatte, war ihre einzige Gemeinsamkeit. Was immer sich noch entwickeln mochte, es konnte nur jetzt beginnen. Oder auch nicht. Die Zeit davor auf jeden Fall war verloren, und genauso alles, was sie hätte bewirken können.
Dieser junge Mann verdankte seine Existenz einem Zufall, einer an sich belanglosen Begegnung eines Mannes und einer Frau. Zufällig war er, Simon, dieser Mann gewesen, aber das änderte nichts an der Beliebigkeit des Zusammentreffens.
Allenfalls konnte man von Schicksal sprechen. Das hörte sichweniger hart an. Und dass das Schicksal bisweilen seltsame Wege ging, das war ja sprichwörtlich.
***
Das also war Simons Sohn? Der Anblick der beiden, wie sie da nebeneinander aus der Tür der Adlon Royal Suite traten, war fast so etwas wie ein Schock für Leo. Ernüchternd, auf jeden Fall.
Die Ähnlichkeit der beiden war unübersehbar. Vater und Sohn, ohne Zweifel.
Aber wo der Vater Würde ausstrahlte, Wohlwollen, Anteilnahme
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