Ein König für Deutschland
und … nun ja, Königtum eben, da war der Sohn einfach nur ein Typ wie jeder andere. Ein Computerfreak. Ein Typ wie Root, wenn man mal davon absah, dass Root ein Fettklops war und Vincent nur ein schmales Hemd.
Das sollte der Prinz von Deutschland sein?
Jemand, der kein Wort Deutsch sprach? Der sich nicht einmal bemühte, »Guten Tag« zu sagen?
In den Tagen, die folgten, dachte Leo gründlich über alles nach. Und seltsam, gerade, als er zu einem Entschluss gekommen war, fragte ihn Simon, ob er ihm einen Gefallen tun würde. Einen großen Gefallen.
Einen königlichen Gefallen.
93 ansässig in Braunschweig, siehe http://www.ptb.de
KAPITEL 49
D as hätte man wissen können, dachte Simon: dass Alex niemand war, der irgendetwas »einfach nur so« fragte. Irgendwann vor Wochen, bei einem der vielen festlichen Abendessen auf Schloss Reiserstein, hatte Alex wissen wollen, wo früher all die deutschen Herrscher gekrönt worden seien. In der Annahme, Small Talk zu machen, hatte Simon erzählt, dass seit den Zeiten Karls des Großen der traditionelle Krönungsort für römisch-deutsche Könige stets Aachen gewesen war.
Und nun hatte Alex die Krönungsfeier für ihn tatsächlich im Aachener Dom angesetzt.
Das Wetter spielte mit wie bestellt. Obwohl es in den letzten Tagen viel geregnet hatte und die Wettervorhersage pessimistisch gewesen war, hatte der Regen gerade rechtzeitig aufgehört. Der Himmel war an diesem Morgen klar, die Sonne schien, und die feierliche Prozession zum Dom zog unter wahrhaftem Kaiserwetter durch die Aachener Innenstadt.
Simon trug prachtvolles Ornat, saß in einer von zwölf Pferden gezogenen Kutsche, und sechs kräftige Männer hielten einen Baldachin über ihn. Immer wieder ertönten schmetternde Fanfarenklänge, denn berittene Trompeter und Hornisten bildeten ein wesentliches Element des Prozessionszuges. Entlang der Straßen, hinter Absperrungen, die von der Polizei bewacht wurden, standen dicht gedrängt die Schaulustigen, die Zuschauer, »das Volk« gewissermaßen. Manche guckten nur, nicht wenige auch finster, aber viele jubelten, schwenkten Fahnen (es war angekündigt worden, dass Spruchbänder gleich welchen Inhalts verboten waren; ein Verbot, das die Polizei strikt durchsetzte) oder winkten, und Simon sagte sich, dass er, wenn sie schon alle gekommen waren,seinen Teil dazu beitragen konnte, dass sie nicht unzufrieden wieder nach Hause gehen mussten, und winkte zurück, lächelte den Kindern zu, die offenbar ihren Spaß hatten.
Vor dem Dom war es, wie Simon mitbekommen hatte, zu lautstarken Protestkundgebungen gekommen, aber als die Prozession vor dem Portal anlangte, war davon nichts mehr zu hören oder zu sehen.
Den Ablauf in der Kirche hatten sie mehrmals geprobt. Dennoch war es etwas anderes, in vollem Ornat auf den Altar zuzuschreiten, während der Chor sang, eine getragene, ergreifende Weise: Simon wurde das Gefühl nicht los, alles nur zu träumen. Und die vielen Menschen in den Kirchenbänken! Von den europäischen Königshäusern war tatsächlich niemand gekommen. Auch an ausländischen Staatschefs herrschte auffallender Mangel – manche hatten sich unter fadenscheinigen Gründen entschuldigt und stattdessen ihre Außenminister geschickt, von anderen wusste man, dass sie der Veranstaltung aus Protest fernblieben. Aber was spielte das für eine Rolle? Die Reihen standen dicht gedrängt, Tausende von Augen waren auf ihn gerichtet, und es herrschte eine Atmosphäre der Feierlichkeit, wie sie Simon in den Proben nicht ansatzweise erahnt hatte.
Der Erzbischof von Köln erwartete ihn am Altar unter dem gewaltigen Kernbau des Doms, dem Oktogon. Karl der Große hatte diesen Teil der Kirche errichten lassen, im achten Jahrhundert bereits, nach byzantinischen Vorbildern. Zweihundert Jahre lang war die sogenannte Pfalzkapelle zwar oft nachgeahmt worden, in Höhe und Gewölbeweite nördlich der Alpen aber unübertroffen geblieben. Und nicht nur Karl der Große war hier beigesetzt, auch andere deutsche Könige, Otto III. beispielsweise.
Simon erreichte den Punkt, der bei den Proben mit einem Kreuz aus Klebestreifen markiert gewesen war. Heute war da kein Zeichen, aber es war auch nicht mehr nötig. Jemand brachte einen reich verzierten Stuhl, auf den er sich setzte, gefolgt von dem wie fernes Donnergrollen klingenden Geräusch, mit dem auch alle anderen Platz nahmen.
Auf großen roten Samtkissen wurden die Reichskleinodiengebracht: allen voran die Krone, dann der Reichsapfel, das
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