Ein König für Deutschland
einundfünfzig Prozent für den Sieger, das heißt, dass der Gegenkandidat höchstens neunundvierzig Prozent haben kann. Eher etwas weniger, weil es ja noch ein paar Nebendarsteller gibt, die auch die eine oder andere Stimme kriegen. Es ist nicht einmal nötig, dass das Programm überall zum Einsatz kommt, weil es Bezirke gibt, bei denen man von vornherein weiß, wer gewinnen wird. Und weil es der Tarnung des Ganzen nur dienlich ist, wenn in ein paar Wahlkreisen auch der Gegenkandidat gewinnt.« Zantini nickte wohlwollend. »Doch, das war schon genial überlegt.«
Vincent fühlte sich auf einmal schwach und elend. Wenn sie einen, der bloß geholfen hatte, ein paar Kreditkartennummern zu stehlen, schon mit Vergewaltigern zusammensperrten, was würden sie dann erst mit einem machen, der geholfen hatte, die Präsidentschaft zu stehlen?
»Ich hab mir damals gar nichts überlegt«, sagte er. »Ich habe nur gemacht, was man mir gesagt hat. Und das Programm war einfach ein schnell hingepfuschter Prototyp, der zeigen sollte, wie so etwas im Prinzip aussehen kann. Es war voller Fehler und in keiner Weise ausgereift. Ich glaube kaum, dass das heute noch zum Einsatz kommt. Wahrscheinlich funktioniert es auf den heutigen Geräten überhaupt nicht mehr.«
Zantini sah ihn eine Weile nachdenklich an. Dann sagte er: »Ich habe das doch richtig mitbekommen – das Programm, wegen dem Sie neulich diesen hohen Besuch hatten: Wann haben Sie das geschrieben? 1997, meine ich gehört zu haben. Oder täusche ich mich? Sagen Sie es mir.«
Vincent nickte widerstrebend. »Ja. 1997.«
»Und wie lange haben Sie daran geschrieben? Monate? Wochen? Tage?«
»Einen Nachmittag. Vier Stunden vielleicht.«
Zantini massierte hingebungsvoll seine Nasenwurzel. »Ich verstehe, wie gesagt, nichts vom Programmieren. Aber ich habe hin und wieder Leute getroffen, die etwas davon verstanden. Und einer von denen hat mir mal erzählt, es sei in der Computerei nicht selten, dass ausgerechnet die Programme, die man schnell mal eben hingepfuscht hat, sozusagen das ewige Leben kriegen. Dass ausgerechnet die einen jahrelang verfolgen und noch benutzt werden, wenn all die anderen, sorgsam ausgetüftelten, gewissenhaft ausgefeilten, nach allen Regeln der Kunst aufwendig entwickelten Programme längst vergessen sind.« Er ließ das mit der Nase, sah Vincent mit spöttischem Lächeln an. »Kennen Sie das?«
Vincent hätte nur zu gerne widersprochen, aber tatsächlich kannte er dieses Phänomen nur zu gut. Er hatte in seinen ersten Wochen bei SIT für eine der Sekretärinnen ein Programm geschrieben, das nichts weiter tat, als die aktuellen Uhrzeiten in allen Zeitzonen der USA anzuzeigen. Es war ein simples, hässliches kleines Stück Software geworden, das er in weniger als einer Stunde hingerotzt hatte und das viel zu viel Rechenleistung beanspruchte, weil er es mit einer für diesen Zweck heillos überdimensionierten Runtime-Library (die einfach zufällig gerade zur Hand gewesen war) compiliert hatte.
Aber die Sekretärinnen benutzten das verdammte Ding heute noch.
»Worauf wollen Sie hinaus, Mister Zantini?«, fragte er also einfach.
Der Zauberkünstler hob die Künstlerhände in einer Geste demonstrativer Ratlosigkeit. »Worauf will ich hinaus? Auf gar nichts. Zunächst. Ich will Sie nur teilhaben lassen an meiner Begeisterung, an der Faszination, die ich empfinde, seit ich von dieser Geschichte erfahren habe …« Er faltete die Hände wieder und beugte sich in einer ruckartigen Bewegung nach vorn, wie ein Raubvogel, der seine Beute sicher wusste und zustieß. »Sagen Sie, Vincent, ist Ihnen nie der Gedanke gekommen, diese Sache zu Geld zu machen?«
»Zu Geld?«, fragte Vincent zurück. »Und wie? Wenn ich Mister Hill erpressen wollte, müsste ich zumindest irgendwas beweisen können. Kann ich aber nicht. Ich bin mir nicht mal sicher, ob ich mir das nicht alles nur einbilde. Könnte genauso gut sein. Und so, wie die Dinge stehen, hätte ich mehr zu befürchten als er, wenn ich damit an die Öffentlichkeit ginge.«
Zantini schüttelte tadelnd den Kopf. »Erpressung. Also hören Sie, was für ein hässliches Wort! Und außerdem – verzeihen Sie – was für eine phantasielose Idee.« Er lehnte sich wieder zurück. »Nein, ich denke in die Zukunft. Ich denke an eine Meldung, die ich vor ein paar Tagen in der Zeitung gelesen habe. Es ging darum, was im Wahlkampf für die Präsidentschaftswahlen 2004 an Geld ausgegeben wird. Wie viel die Kandidaten an
Weitere Kostenlose Bücher