Ein König für Deutschland
Spenden einkassiert haben. Unfassbare Zahlen. Es hieß, dass dieser Wahlkampf über sechshundert Millionen Dollar kosten wird.« Seine Finger begannen wieder, einander zu umspielen, und das amüsierte Funkeln kehrte in seine Augenwinkel zurück. »Ganz davon zu schweigen, dass der demokratische Kandidat mit der Erbin dieses Ketchup-Imperiums verheiratet ist … Wie heißt das noch mal? Heinz, genau. Die Frau allein soll fast eine Milliarde Dollar wert sein. Da wird der Gedanke doch erlaubt sein, wie man ein wenig von all diesem Geld in die eigenen Taschen fließen lassen könnte, oder?«
Vincent verstand immer noch nicht, worauf der Zauberer hinauswollte. »Und wie wollen Sie das machen?«
»Indem ich den Wahlsieg an den Meistbietenden verkaufe, natürlich«, erklärte Zantini und erhob sich aus dem Stuhl. »Allerdings muss ich mir noch im Detail überlegen, wie das vor sich gehen würde.«
Der Mann hatte doch einen Knall. Vincent ließ sich nach hinten sinken. »Ja, überlegen Sie sich das nur gut«, stieß er hervor. »Ganz so einfach ist das nämlich nicht. Auf jeden Fall genügt es nicht, ein Stück Software zu schreiben.«
»Da haben Sie Recht.« Zantini stand an der Tür, hielt den Drehknopf umfasst. »Das größte Problem ist, dass die Regierung das mit den Wahlmanipulationen schon selber in die Hand genommen hat. Das ist eine starke Konkurrenz.«
Er lächelte noch einmal – siegessicher, so, als sei es nur eine Frage der Zeit, bis ihm auch dafür ein Trick einfallen würde –, dann ging er.
***
Vincent versuchte, so wenig wie möglich Notiz vom laufenden Wahlkampf zu nehmen, doch man entkam ihm nicht. Von überallher schrien einen die Plakate, Handzettelausteiler und Werbespots an, für die das ganze Geld ausgegeben wurde, das Zantini so faszinierte. Als im Oktober die üblichen Fernsehdiskussionen zwischen den Kandidaten stattfanden, war Vincents Widerstand dahin; auch er schaltete ein.
Kerry überraschte ihn. Nach dem, was er bisher über den demokratischen Kandidaten gehört hatte – allen zugehaltenen Ohren zum Trotz –, hatte er einen eher drögen Zauderer erwartet, der mit vielen Worten wenig sagte. Stattdessen stand da ein Mann, der ausgesprochen präsidial wirkte, geradezu staatsmännisch im Vergleich zu dem angestrengt grinsenden George W. Bush. John Kerry konterte jede Behauptung des amtierenden Präsidenten mit einem knappen, klaren Statement, das akkurat ins Schwarze traf und Vincent bisweilen ein unwillkürliches »Ja, genau« entlockte. Ja, natürlich war der Irak-Krieg ein kolossaler Fehler gewesen – wer sah das nicht so? Ja, natürlich standen die Terroristen heute besser da als zuvor, während die USA immer mehr an Ansehen in der Welt verloren hatten. Ja, natürlich waren die Steuersenkungen für die Reichen ungerecht, und natürlich war das Rekord-Haushaltsdefizit ein Skandal. Und die ganze Zeit blieb Kerry die Ruhe selbst, während Bush grimassierte, verlegen grinste, nach Worten suchte und einmal in fast peinlicher Weise ausfallend wurde.
Im Grunde, resümierte Vincent, war Bushs einziger Trumpf der, dass er bereits im Amt war.
Und das war ein starker Trumpf. »Amerikaner wechseln ihren Präsidenten nicht aus, wenn sich das Land im Krieg befindet«, erklärte Claudio in der morgendlichen Kaffeepause am Tag nachder Debatte. Die anderen nickten bestätigend, auch die, die gar nicht wählen durften. Danach verlief sich die Diskussion. Alvin erklärte ausführlich, was er alles grundsätzlich anders machen würde, wenn man ihn zum Präsidenten wählte, und Steve sprach sich wortgewaltig dafür aus, das amerikanische Wahlrecht von Grund auf zu reformieren.
Die Wahlprognosen der Meinungsforscher in den letzten Wochen widersprachen einander und oft auch sich selbst, je näher der 2. November rückte. Die einen sahen Bush zwei Prozentpunkte vorn liegen, die anderen glaubten einen Vorsprung von einem Prozent für Kerry zu erkennen, um am nächsten Tag wieder etwas ganz anderes zu behaupten.
Wahlprognosen aus den abstrusesten Dingen abzuleiten schien zum neuen Volkssport zu werden. Zu Halloween gab es Gummimasken sowohl mit Bush-Gesicht als auch mit Kerry-Visage zu kaufen, wobei 53 % der Käufer zu einer Bush-Maske griffen. Das bedeute einen Sieg Bushs, erklärten die Urheber der Statistik. Die Schnellimbisskette »California Tortilla« dagegen gab ihren Kunden vier Wochen lang die Gelegenheit zur Abstimmung mit dem Mund: Der »Kerry-Burrito« mit Hähnchen, Heinz-Ketchup,
Weitere Kostenlose Bücher