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Ein König für Deutschland

Ein König für Deutschland

Titel: Ein König für Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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Fächer hatten Helene gehört; er bewahrte darin allerhand Kram auf, den er nicht mehr benutzte, von dem er sich aber auch noch nicht trennen konnte: einen alten Toaster, Weihnachtsschmuck, zwei Hüte –
    »Die nächste.«
    Auch dieser Schrankteil war einst Helenes Territorium gewesen. Hier hatten ihre Kleider gehangen, die sie in großer Zahl gekauft, selber genäht, umgeändert und leichten Herzens wiederweggeworfen hatte, wenn sie aus der Mode waren. Heute hingen hier Simons Mäntel, ein Overall, den er benutzte, wenn etwas im Keller zu erledigen war, und dahinter standen drei Schirme an der Rückwand.
    »Die nächste.«
    Das war nun diejenige, welche. Simon öffnete die Tür, blieb stehen, sah stur geradeaus. Sich bloß nicht durch einen Blick verraten. Hier standen seine Schuhe, bewahrte er seine Krawatten auf, seine Socken und Unterwäsche. Nicht sehr ordentlich, andererseits hatte der Kerl hinter ihm ja verbundene Augen.
    »Die nächste.«
    Ha! Daneben. Mit einem leisen Gefühl der Befriedigung schloss Simon die Tür wieder und zog die nächste auf. Seine Hemden, seine Anzüge, seine Jacketts und Hosen. Bitte, der Herr. Ja, alles selbst gebügelt, falls es jemand wissen wollte. Nicht, weil er es sich nicht hätte leisten können, seine Hemden in die Reinigung zu geben, sondern weil die Reinigung mit seinen Hemden zu oft Dinge angestellt hatte, für die sie ihm zu schade waren.
    »Nein«, sagte die Stimme in seinem Nacken zu Simons Bestürzung. »Gehen Sie noch mal zum vorhergehenden Schrank zurück.«
    Das konnte jetzt nicht wahr sein. Der Mann schien wirklich und wahrhaftig in seinen Gedanken zu lesen! Simon zwang sich, ruhig zu bleiben, an die Wäscherei zu denken. Zweimal hatten sie ihm den Neupreis eines Hemdes erstattet, das ihren Anstrengungen zum Opfer gefallen war. Danach hatte er beschlossen, die Sache mit dem Bügeln selber in die Hand zu nehmen. Nicht, dass er das mochte, aber neue Kleidung einkaufen zu gehen, mochte er noch viel weniger. Tatsächlich war das eine Beschäftigung, die er geradezu verabscheute …
    »Beschreiben Sie, was Sie sehen.«
    Simon holte tief Luft. »Ein Regal mit Unterhemden, eines mit Unterhosen. Eine Schublade; in der sind Socken. Zwei Gitter mit Schuhen …«
    »Fassen Sie an das Regal mit den Unterhemden.«
    Was sollte das jetzt? Na schön, wenn er das so wollte …Simon streckte die Hand aus, berührte das oberste Regalbrett. Und nun?
    »Berühren Sie das mit den Unterhosen.«
    Oh, oh. Es wurde allmählich heiß. Die CD war an die Rückseite der Sockenschublade ge-
    Nein. Nicht daran denken. Simon legte die Fingerspitzen auf das zweite Regalbrett, dessen dunkles Furnier an einer Stelle ein wenig abgesplittert war. Eine helle Stelle von der Form eines … hmm … schwer zu sagen …
    »Die Schublade. Berühren Sie sie.«
    Ruhig bleiben. Sich nichts anmerken lassen. An was anderes denken. An Sex. An Helene. Er fasste an die Schublade, und erst jetzt kam ihm die Idee, dass er am besten an eine andere Stelle dachte, an ein anderes Versteck, dass er sich am besten selber einredete, dass die CD an einem anderen Ort versteckt war. Im Wohnzimmer, genau. In Platons »Der Staat« …
    »Ziehen Sie die Schublade heraus.«
    Mist. Nein. Die CD war hier nicht, hier war gar nichts, in der Schublade waren nur Socken, lauter schwarze, damit er nicht lange nach passenden Paaren suchen musste, alle durcheinander, gewiss, aber keine CD, nirgends, denn die war im Wohnzimmer, im Innendeckel des Platon, in der schönen Klinghardt-Ausgabe von 1909 in Halbleder, eingeklebt mit vier langen Klebestreifen …
    »Schieben Sie die Schublade wieder zu.«
    Ha! Es hatte funktioniert. Wie auch immer der Kerl das mit dem Gedankenlesen bewerkstelligte, Simon hatte ihn ausgetrickst damit, dass er sich die CD an einem ganz anderen Ort vorgestellt –
    Die Hand ließ seinen Nacken los. Simon drehte sich um und sah, wie der Hagere die Binde von den Augen nahm, ein schmales, entsetzlich siegessicheres Lächeln um die Lippen.
    Ohne ein weiteres Wort zog er die Sockenschublade ganz heraus, leerte die Socken auf den Boden, drehte den Kasten herum und sah, natürlich, den Briefumschlag, der an die Hinterseite geklebt war. Er löste ihn ab, immer noch schweigend, öffnete ihn, zog die CD heraus und betrachtete sie. »Hmm«, meinte er. »Dasist doch mal interessant.« Er bedachte Simon mit einem unergründlichen Blick. »Ich muss noch um einen Augenblick Geduld bitten.«
    Er verließ das Schlafzimmer. Der Zwerg

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