Ein König für Deutschland
stellte sich mit seinem Revolver wieder in Positur, als warte er nur auf einen Anlass, Simon das Lebenslicht auszupusten.
Simon lauschte. Er hörte ein Geräusch, das klang wie ein Computer, der gestartet wurde. Offenbar hatten die beiden einen tragbaren Computer mitgebracht, um überprüfen zu können, ob sie auch die richtige CD gefunden hatten. Und offenbar verlief diese Prüfung zur Zufriedenheit des Gedankenlesers, denn er kehrte kurz darauf zurück und meinte: »Nun, ich hatte Ihnen versprochen, Sie nicht lange aufzuhalten, nicht wahr? Das war jetzt keine halbe Stunde; ich denke, damit habe ich mein Versprechen eingelöst.« Er nickte seinem kurzgewachsenen Kompagnon zu, die Waffe einzustecken. »Genießen Sie den Rest des Abends. Ach ja, und das mit der Polizei«, fügte er, schon im Begriff, sich abzuwenden, hinzu: »Das vergessen Sie besser, okay?«
Damit gingen sie.
KAPITEL 21
E s war, als schlage die plötzliche Stille über ihm zusammen.
Simon stand da, mitten in seinem Schlafzimmer, unfähig, sich zu rühren. Er war überfallen worden! Wirklich und wahrhaftig, es waren zwei Männer in seiner Wohnung gewesen, einer davon hatte eine Waffe auf ihn gerichtet, und der andere hatte …
Er wollte gar nicht daran denken. Das konnte man auch niemandem erzählen. Diese Schmach! Diese Entwürdigung! Gezwungen zu werden, die Tür zu seinem eigenen Schlafzimmer zu öffnen, seinen Kleiderschrank zu entblößen vor fremden, gierigen, feindlichen Augen … Infam. Simon spürte seinen Magen revoltieren, seine Knie beben, eine unerhörte Wut in sich aufsteigen, ein Durcheinander an Gefühlen, aber die Wut war das stärkste darunter.
Er musste sich setzen. Nein, erkannte er, als er bebend, zitternd beinahe, auf dem Schlafzimmerstuhl hockte, er konnte jetzt nicht sitzen, er musste aufstehen, umherlaufen. Am liebsten hätte er diese Kerle jetzt in seiner Gewalt gehabt und dazu jemanden, dem er befehlen konnte, ihnen die Köpfe abzuhacken, verdammt noch mal!
Simon tigerte durch den Flur, durchs Wohnzimmer, schob die Gardine beiseite, um hinabzusehen auf die Siedlung, die so täuschend aufgeräumt dalag, so, als könne hier niemals etwas Schlimmes passieren, genau das spießige Paradies, als das sie entworfen worden war. Aber hier passierte so viel, er wusste es ja aus dem, was er in Elternsprechstunden erfuhr, von Kollegen, aus dem, was Polizisten der Schule mitteilten, nachdem ein Krankenwagen vorgefahren und Blaulicht über die Fassaden gezuckt war:Gewalttaten zwischen Eheleuten, Misshandlungen von Kindern, Vergewaltigungen, Alkohol, Selbstmorde.
Aber das zu wissen, war keine Erleichterung. Er ließ die Gardine wieder los, tigerte weiter. Rückte Bücher, Blumenvasen, Papierstapel zurecht, wusch sich die Hände, kämmte sich, wusste nicht, wohin mit sich. Hätte am liebsten etwas gegen die Wand geschmettert. Er ballte die Faust, aber nein, er würde sie nicht gegen die Wand schlagen; so, wie er sich fühlte, bestand die Gefahr, dass er sich dabei alle Knochen brach.
Er belauerte das Telefon, wollte jemanden anrufen, die Polizei oder jemand anders, und wollte es auch wieder nicht, weil er sich schämte, ja, schämte dafür, dass er sich hatte benutzen lassen, dass er nicht mehr Widerstand geleistet hatte …
Wie war das überhaupt möglich gewesen? Der Kerl hatte gewusst, was er dachte! Zumindest hatte er es auf irgendeine Weise gespürt. Das war vielleicht das Schlimmste von allem: Sie waren nicht nur in seine Wohnung eingedrungen, in das also, was man gemeinhin als Privatsphäre bezeichnete, sondern auch in seine Gedanken, in seinen Geist, in seinen intimsten Bereich!
Und wenn der Kerl Gedanken lesen konnte, was mochte er noch alles erfahren haben? Simon blieb an der Schublade stehen, in der er seine Bankunterlagen aufbewahrte. Musste er jetzt seine Kreditkarten sperren lassen, für alle Fälle? Er zog die Schublade auf. Alles noch da. Hieß das, eine Sperrung war unnötig? Himmel, er wusste es nicht.
Er ging wieder zum Telefon, legte die Hand auf den Hörer, zuckte zurück, als sei der glühend heiß. Was er natürlich nicht war, aber das, was passiert war, konnte man niemandem erzählen, weiß Gott nicht. Nein, das würde er als Geheimnis bewahren müssen bis an sein Lebensende, als ein schmutziges, widerliches Geheimnis zwischen ihm und diesem Mann mit dem Rhett-Butler-Bärtchen.
So ein verfluchter Kerl! Als er auf seiner ruhelosen Wanderung am Sofa vorbeikam, war es ein blitzartiger, übermächtiger
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