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Ein König für Deutschland

Ein König für Deutschland

Titel: Ein König für Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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Blick kaum von dem davor unterschied, aber die Ko-Moderatorin machte große Augen und sagte: »Oha. Das sieht aus, als würden die Karten neu gemischt …«
    Erst als das zweite Diagramm mit der Sitzverteilung aufgrundder aktuellen Hochrechnung erschien, begriff Simon: Die Linkspartei hatte es über die Fünf-Prozent-Hürde und damit in den Landtag geschafft. Was die Konstellation der Parteien grundlegend veränderte.
    »Könnte schwierig werden«, sagte der Moderator.
    Das sollte sich als die Untertreibung des Tages erweisen.
    In der Küche fiepte die Schaltuhr des Bratrohrs. »Ah, es ist so weit«, sagte Simon voller Vorfreude. »Wir können uns ja nachher anschauen, wie es ausgegangen ist.«
    Ute nahm den Blick nicht von der Mattscheibe. »Das geht jetzt nicht. Tut mir leid.«
    »Und dein Braten?«
    »Mein Braten …«, stieß Ute unwillig hervor; es klang wie eine Verwünschung. »Bernd, hol doch den kleinen Apparat aus dem Schlafzimmer. Den stellen wir einfach auf die Anrichte.«
    Simon musste an sich halten, um angesichts der drohenden Barbarei – die unvermeidlich schien; Bernd hatte sich gehorsam erhoben und war bereits unterwegs – nicht die Fassung zu verlieren. »Ute«, sagte er behutsam, »so wichtig war mir das mit den Wahlen wirklich nicht –«
    »Aber mir. Das kann jetzt nicht sein, dass die Ypsilanti den Koch nicht aus seinem Sessel kriegt. Das darf einfach nicht sein.«
    Doch so war es. Das Wahlergebnis bescherte dem Bundesland Hessen eine Patt-Situation.
    Alle Parteien hatten sich bereits vor der Wahl hinsichtlich der Koalitionspartner festgelegt: Die FDP hatte erklärt, nur mit der CDU koalieren zu wollen, die Grünen nur mit der SPD. Durch den Einzug der Linkspartei kam jedoch keine dieser beiden Konstellationen auf die zur Regierungsbildung erforderliche Mehrheit der Sitze.
    Eine große Koalition war rechnerisch möglich, scheiterte aber am Anspruch der CDU, als die Partei mit den meisten Stimmen eine solche Koalition zu führen, das hieß, den Ministerpräsidenten zu stellen: Zwar kamen CDU und SPD auf die gleiche Anzahl von Sitzen im Landtag, aber die CDU hatte 0,1 % mehr Stimmenerhalten als die SPD 43 . Da die Spitzenkandidatin der SPD, Andrea Ypsilanti, mit dem ausdrücklichen Ziel angetreten war, den amtierenden Ministerpräsidenten Roland Koch abzulösen, verbot sich eine derartige Kooperation jedoch.
    Die Moderatorin befragte einen in solchen Auftritten sichtlich ungeübten Professor für Verfassungsrecht, wie es nun weiterginge. »Wird Hessen ohne Regierung auskommen müssen?«
    »Nun, das sicher nicht«, erklärte der Interviewte, »im schlimmsten Fall greift Artikel 113 der hessischen Verfassung, wonach die amtierende Landesregierung die Amtsgeschäfte so lange weiterführt, bis eine arbeitsfähige neue Regierung gebildet ist. Prinzipiell ist das über die gesamte Dauer der neuen Legislaturperiode möglich.«
    »Das hieße, Ministerpräsident Koch bliebe im Amt?«
    »Ja, aber nur geschäftsführend.«
    »Was heißt das?«
    Der Professor sah sie tadelnd an; wie ein Prüfer, der einem Kandidaten mangelhafte Kenntnisse attestieren muss. »Nun, das ist so neu nicht; im Prinzip bestand dieselbe Situation 1982 schon einmal 44 . Damals blieb Holger Börner anderthalb Jahre geschäftsführend im Amt, bis zur Selbstauflösung des Landtags 45 .«
    »Das wäre also ein Ausweg? Die Selbstauflösung?«
    »Natürlich. Nach Artikel 80. Dafür wird allerdings die absolute Mehrheit der Abgeordneten benötigt.«
    Es schmerzte Simon, dass sie Utes köstlichen Braten, die duftenden Kartoffelklöße und das Weinkraut so achtlos nebenbei vertilgten, während auf der kleinen Mattscheibe ein Politiker nach dem anderen sein Statement abgab. Zum größten Teil war es das übliche, inhaltsleere Gerede, kaum aussagekräftiger, als es ein Piepston gewesen wäre. Es lag an den Medien, erkannte Simon. In einer Situation, in der noch niemand wissen konnte, wie es weitergehen würde, in der die Verantwortlichen miteinander diskutieren und zu einer Lösung zu kommen versuchen mussten, zerrte man sie vor Mikrofone und zwang sie, etwas zu sagen: Dass sie sich dann, so gut sie konnten, bemühten, nur so zu tun, als sagten sie etwas, war nicht nur verständlich, es war sogar fast redlich.
    Simon sah auf seinen Teller hinab, schnitt ein Stück von dem Fleisch ab, bemüht, seine Ohren vor dem Geplapper aus dem Fernseher zu verschließen, sich ganz auf den Genuss zu konzentrieren und so den Bemühungen Utes die ihnen

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