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Ein König für Deutschland

Ein König für Deutschland

Titel: Ein König für Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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gewesen, das, was junge Leute eben redeten, wenn es um Politik ging. Nach Simons Erfahrung waren in dem Alter die meisten im Grunde desinteressiert am Wohl des Gemeinwesens; eigentlich bewegte sie nur die Sorge, ihnen selber könne aufgrund der Beschlüsse anderer etwas Unangenehmes passieren. Das war der Grund, warum sie, wenn es um Politik ging, vor allem auf »die da oben« schimpften und von Korruption redeten, als wüssten sie, was das bedeutete. Und bei denen, die tatsächlich politische Ansichten hatten, redeten diejenigen viel von Meinungsfreiheit, die es in Wahrheit nicht ertrugen, dass andere anderer Meinung waren als sie selbst.
    Angst also, mit einem Wort. Vielleicht musste ein Mensch die erst überwinden, ehe etwas mit ihm anzufangen war, Politik hin oder her.
    Je länger dieser ereignisreiche Montag zurücklag, desto mehr kam Simon das ganze Gerede über die Wahlcomputer und dieBefürchtung, dass irgendjemand damit demnächst die Demokratie zu kapern gedachte, wie eine dieser wilden Verschwörungstheorien vor, die hier und da kursierten.
    Dann klingelte eines Nachts bei ihm das Telefon, zwanzig Minuten nach Mitternacht.
    Simon hatte natürlich schon geschlafen, und unter normalen Umständen wäre er im Bett geblieben. Mitternächtliche Anrufe waren, das hatte er in den ersten Jahren seiner Tätigkeit als Lehrer gelernt, eine der beliebtesten Rachemethoden von Schülern, die sich ungerecht benotet fühlten, und das würde auch so bleiben, bis Telefonzellen vollends abgeschafft wurden. Aber die Umstände waren nicht normal, also eilte er nackten Fußes über das Parkett in den Flur und hob ab.
    »Simon?«, fragte eine helle Frauenstimme.
    Er erkannte sie sofort. Es war Lila.
    ***
    Normalerweise interessierte sich Simon nicht sonderlich für Landtagswahlen in anderen Bundesländern. Natürlich kannte er die amtierenden Ministerpräsidenten, dazu war er ja sozusagen von Berufs wegen verpflichtet, er verfolgte auch die Verteilung der Machtverhältnisse im Bundesrat, die Prognosen und so weiter. Aber als an diesem Sonntag die Wahllokale in Hessen schlossen, war es das erste Mal, dass er sich aus so einem Anlass vor einen Fernsehapparat setzte.
    Zu diesem Zweck hatte er sich bei Bernd und seiner Frau Ute eingeladen, die sein diesbezügliches Interesse mit milder Irritation tolerierten.
    »Die SPD wird haushoch gewinnen, ist doch klar«, meinte Bernd. »Sie wird die CDU-Regierung wegfegen. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.«
    »Wann warst du denn das letzte Mal in der Kirche?«, gab Simon zurück. »Du kannst doch gar nicht mitreden.«
    Draußen war hässliches Wetter. Sie saßen im Wohnzimmer und ließen sich einen Grog schmecken, den ihnen Utehingestellt hatte. Fünfter Stock: Ohne den Nebel und den Regen hätte man einen hübschen Blick über die Siedlung gehabt.
    »Die Meinungsumfragen sagen es. Die Spatzen pfeifen es von den Dächern. Die amtierende Regierung ist schon dabei, die Schreibtische aufzuräumen«, zählte Bernd an den Fingern ab. »Was willst du noch?«
    »In einer Stunde werden wir es wissen«, meinte Simon und nahm einen weiteren Schluck.
    »Aber es wird pünktlich gegessen«, mahnte Ute an. »Wenn mein Braten so weit ist, wird der Fernseher ausgeschaltet, darauf bestehe ich.«
    »Ich auch«, sagte Simon. Neben Utes Küche sah jedes Sterne-Restaurant blass aus. Wenn er gewusst hätte, dass sie einen Urnengang zum Anlass nehmen würde, ihn zu bekochen, hätte er keine Landtagswahl der letzten zehn Jahre versäumt.
    Die Moderatoren der Wahlsendung wirkten gelangweilt, ein wenig wie Sportreporter, die einen Wettkampf mit vorhersehbarem Ausgang zu kommentieren hatten. Sie alberten herum, um die Zeit bis zur ersten Hochrechnung zu überbrücken, spulten die üblichen Sprüche ab, rekapitulierten, was der Rekapitulation nicht bedurft hätte, bis sich endlich die ersten bunten Balken hoben und fast auf die Nachkommastelle genau bestätigten, was die Prognosen aufgrund von Wahltagsbefragungen vorhergesagt hatten: Die Linkspartei schaffte den Einzug ins Landesparlament nicht, während SPD und Grüne zusammen zwei Sitze mehr erhalten würden als CDU und FDP.
    Bilder von jubelnden Leuten in roten T-Shirts, Bilder bestürzter Anhänger der Parteien mit herben Verlusten.
    Doch dann sagte einer der Moderatoren, die Hand an dem Knopf in seinem Ohr: »Ich erfahre gerade, dass wir eine neue Hochrechnung haben mit einem etwas anderen Bild …«
    Wieder ein Balkendiagramm, das sich auf den ersten

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