Ein König für Deutschland
Schluck.
Simon ließ das, was er gehört hatte, auf sich wirken. »Was mich etwas verwirrt hat, war, dass Sie erwähnten, dass Sie Mittelalterfeste veranstalten …«
»Ach so.« Alex fuhr sich mit dem Handrücken über den Mundund stellte die Bierflasche beiseite, um besser gestikulieren zu können. »Also, um genau zu sein, ich hab kein Mittelalterfest veranstaltet, sondern nur im Rahmen dessen ein Ritterturnier. Solche Feste organisieren Städte mit entsprechender Altstadt, aber heutzutage funktioniert das nicht mehr ohne Profis, die man engagiert. Mittelalterfeste gibt es mittlerweile viele, aber wenn Sie ein paar davon besuchen, merken Sie, dass Sie immer die gleichen Gesichter sehen. Das sind Leute, die ziehen den Sommer über von einer Stadt in die andere und spielen Bettler oder Gaukler, Kreuzritter oder Kräuterweib; die haben ihre Kostüme, ihre Tricks, ihre Sprüche … Und ich veranstalte eben Ritterturniere, so richtig mit Waffen und Schilden und Zelten, Knappen und Reitern … Irre aufwendig, bringt aber auch richtig Kohle. Weil, das können nicht viele.«
»Gut«, sagte Simon, »aber wie passt das jetzt zum Thema Computer? Was ja irgendwie der Anlass war, dass wir uns begegnet sind.«
»Der Punkt ist das Spiel. Die Phantasie. Sich in eine andere Welt zu denken, in ein anderes Leben zu schlüpfen und auf diese Weise etwas zu erleben, das man in unserer Welt niemals erleben würde. Ein Ritter zu sein, ein Krieger, ein Zauberer … was Sie wollen. Die einzige Grenze ist Ihre Phantasie.« Er griff wieder nach der Flasche. »Ein Computer ist letzten Endes auch nur ein Spielgerät unter anderen. Ich verstehe gar nicht so schrecklich viel von den Kisten; verglichen damit, was für einen Durchblick jemand wie Root oder Sirona hat, verstehe ich überhaupt nichts davon. Es ist bloß so: Wenn Sie Multiplayer Games übers Internet veranstalten, dann haben Sie einen technischen Aufwand, der fast nicht mehr zu stemmen ist, sobald das Ding richtig abgeht. Da haben Sie plötzlich Tausende von Spielern … Klar, da fließt momentan auch viel Geld, aber ich hab’s vorhin ja gesagt, im Internet gibt’s keine Treue, die können alle von einem Monat auf den anderen weg sein, und dann stehen Sie da mit Hardware für eine Million Euro und einem Haufen laufender Kosten. Das machen inzwischen große Companies, da habe ich nicht mehr so die Lust mitzumischen. Deswegen geh ich in letzter Zeitzunehmend in Richtung Alternate Reality …« Er sah Simon an. »Sagt Ihnen wahrscheinlich auch nichts?«
Simon verneinte. »Noch nie gehört.«
»Okay. Also, bei Alternate-Reality -Spielen geht es darum, eine erfundene Welt in unsere reale einzubetten. Man könnte auch sagen, das sind Inszenierungen. Zum Beispiel haben wir letztes Jahr eine Agentengeschichte gemacht, bei der zwei Gruppen von Geheimagenten hinter einem Geheimnis her waren, einer geheimen Formel – wobei egal war, was genau, es ging ja vor allem um die Jagd. Das Spiel lief über mehrere Monate: Erst haben wir die Teilnehmer in einem Trainingslager zu Agenten ausgebildet, dann sind sie mit Ausrüstung, geheimen Anweisungen und so weiter losgezogen, um die feindlichen Agenten zu enttarnen. Wobei die feindlichen Agenten natürlich eine andere Gruppe waren; die haben gegeneinander gespielt.« Er schüttelte grinsend den Kopf. »Das war heiß. An einem Tag waren die Spieler alle in der Innenstadt unterwegs, zwischen all den normalen Passanten – die haben geguckt, wenn da jemand ein Funkgerät rauszog und eine Verfolgungsjagd losging …« Er lachte auf. »Da haben Sie als Spielleiter Stress nonstop.« Er sah Simon an, und dabei fiel ihm offenbar die ursprüngliche Frage wieder ein. »Bei solchen Spielen kommen auch Computer zum Einsatz, aber auf andere Weise. Man macht viel über E-Mails, baut Webseiten auf, die zum Spiel gehören, aber so aussehen, als seien sie echt … Aber natürlich nicht nur. Wir haben jede Menge Briefe auf Briefpapier irgendwelcher Institutionen verschickt, die es gar nicht gibt, haben Gegenstände in Schließfächern deponiert, haben Leute engagiert, die so tun mussten, als seien sie Wachposten oder Wissenschaftler oder einfach nur ›zufällige‹ Passanten …«
Simon hob die Augenbrauen. »Ich könnte mir vorstellen, dass da manchmal die Grenzen zwischen Spiel und Wirklichkeit verschwimmen.« Er musterte den jungen Mann. »Wie halten Sie das auseinander?«
Alex grinste. »Ehrlich gesagt, manchmal gar nicht.« Er zuckte mit den Achseln.
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