Ein König für Deutschland
Welt bevölkern und dort miteinander interagieren, gemeinsam Abenteuer bestehen und so weiter.«
»Über das Internet?«, wunderte sich Simon. »Das heißt doch aber, dass jeder bei sich zu Hause vor dem Computer sitzt? Allein?«
»Simon«, seufzte Bernd, »das ist heutzutage so. Die Jungen sind das gewöhnt. Die chatten, simsen, sind in Foren unterwegs – und in solchen Fantasiewelten. Das ist Alltag; ich seh’s doch an unseren beiden. Juliane ist da genauso fanatisch wie Dominik.«
Simon betrachtete die Bilder auf dem Schirm, die grob konturierte Krieger zeigten, angetan mit klobigen Rüstungen, ungeheure Schlagwaffen in den muskulösen Armen. »Da wächst eine Generation in einer Periode des Friedens auf, die in der Geschichte ohne Beispiel ist«, sagte er, »und dann haben diese Menschen nichts Besseres zu tun, als sich in eine fiktive Welt zu begeben, in der unablässiger Krieg herrscht. Schon seltsam.«
»Das ist nur ein Spiel, Simon«, sagte Bernd. »Fantasie. Den Leuten ist die Realität einfach zu langweilig geworden.«
55 Art. 21 Abs. 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland lautet: »Die Parteien wirken an der Bildung des politischen Willens des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muss demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben.«
56 http://de.wikipedia.org/wiki/Massively_Multiplayer_Online_Role-Playing_Game
KAPITEL 28
A m Abend des darauffolgenden Montags war Simon der Erste, und wie ihm Alex gleich an der Tür erklärte, würden sie auf die anderen wohl noch warten müssen.
»Leo holt Sirona mit dem Auto in Mainz ab, und er hat gerade angerufen – sie stecken im Stau«, erzählte er, das Telefon in der Hand. Heute trug er ganz normale Kleidung, Jeans und ein abgewetztes Sweatshirt. »Root kommt mit dem Zug, aber der hat natürlich mal wieder Verspätung. Ist immer dasselbe, man kommt nicht mehr vom Fleck in der real world .« Er legte das Telefon weg. »Kann ich Ihren Mantel nehmen?«, fragte er unbeholfen. Die Rolle des Gastgebers wirkte bei ihm aufgesetzt, anders als bei seinem Bruder. »Gehen Sie schon mal vor, ich bring was zu trinken und so. Sie kennen sich ja aus.«
Simon ging zu der Sitzgruppe, an der sie auch das letzte Mal gesessen und den verrückten Plan mit der Parteigründung ausgetüftelt hatten. Er legte seine Mappe auf den Sitz und betrachtete, was da auf dem Tisch lag. Ein Buch über die Mongolei und ein altes Brettspiel. Bloß, dass es keine Spielfiguren gab, nur Karten, so etwas wie Drehscheiben, die Bestandteil des Spielfelds waren.
»Hab ich auf dem Flohmarkt gefunden«, sagte Alex, als er mit einem Tablett voller Gläser, Flaschen und Salzbrezeln ankam. »Ich halt immer Ausschau nach alten Spielen, wissen Sie? Bin ständig auf der Suche nach Anregungen, nach Ideen für Spiele, die ich irgendwie mit meiner Firma umsetzen kann. Die Spielebranche ist glitschiges Terrain. Man muss die ganze Zeit in Bewegung sein, sich ständig was Neues ausdenken, pausenlos um seinen Platz auf der Beliebtheitsskala kämpfen. Im Internet ist niemand treu – sobald jemand anderes was Besseres auf dieBeine stellt, sind alle Ihre Kunden weg, so schnell können Sie die Hand nicht umdrehen.«
Simon nahm dankend ein Glas Orangensaft, dann deutete er auf das Spielbrett. »Und was ist das für ein Spiel?«
»Ich probier’s gerade aus. Es heißt Ökolopoly 57 , ist steinalt und soll das vernetzte Denken fördern.«
Der Spielplan zeigte eine Art Landschaftsbild eines fiktiven Landes. Es gab ausgestanzte Fenster, in denen Zahlenwerte für Messgrößen wie »Lebensqualität«, »Umweltbelastung«, »Bevölkerungsgröße« oder »Produktion« angezeigt wurden, außerdem die Drehscheiben, die man eine bestimmte Anzahl von Schritten vor- oder zurückstellen konnte: Das waren die Spielzüge, deren Ergebnisse in einer festgelegten Reihenfolge auf die anderen Größen einwirkten. Alles war mit allem verknüpft, und alle Spieler gemeinsam hatten als Regierung die Aufgabe, die desolate Ausgangssituation des Landes zu verbessern.
Sie spielten ein paar Runden. Das Spiel war kniffliger, als Simon gedacht hatte. Sie bemühten sich redlich, durch geschickte Verteilung der Aktionspunkte auf die Bereiche Umweltschutz und Industrie eine Verbesserung zu schaffen, aber die Nebenwirkungen ihrer Maßnahmen verkehrten ihre Anstrengungen auf vertrackte Weise ins Gegenteil:
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