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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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vor ihm in die Knie gefallen, hatte seine Beine umschlungen und gestammelt: »Ich danke dir, ich danke dir!« Er fand das idiotisch, bis er erfuhr, daß Schwangere aus dem schweren Einsatz im Wald hinausgezogen wurden und Aussicht auf frühere Entlassung hatten. Seitdem hatte sich Chakimow vorgenommen, an jedem Einsatz im Frauenlager freiwillig teilzunehmen, um – edel, wie er war – bei jedem Besuch einem Mädchen die vorzeitige Freiheit zu schenken.
    Smerdow ahnte nichts von diesem sozialen Einsatz Safars und nannte ihn einen Perversen. Jedesmal zuckte er nervös zusammen, wenn sich Chakimow mit einem lauten »Hier!« freiwillig für die Höllenfahrt meldete. »Er muß einen Hammer wie ein Wisent haben«, sagte er einmal betroffen, »sonst könnte er es nicht aushalten. So ein kleiner, schlitzäugiger Rammler! Da sagt man immer, die Schmächtigen könnten ihn durch ein Nadelöhr stecken! Von wegen!«
    »Wir sollen drei Tage im Frauenlager bleiben«, sagte Safar Witaliwitsch jetzt glücklich. Das bedeutete für ihn drei ›Befreiungen‹.
    »Wo schlafen wir da?« fragte Abukow und starrte auf die Rückseite des Wagens vor ihm. Sein Kühlwagen Nummer 11 bildete den Schluß. Das war die schlechteste Position, denn die neun Wagen vor ihm wühlten den Weg auf und machten ihn teilweise fast unpassierbar – er mußte dann sehen, wie er zurechtkam. Auf der Landkarte hatte er gesehen: Das Frauenlager Tetu-Marmontoyai lag einsam inmitten von Taiga und Sumpf in einem eigenen Seengebiet mit über fünfzig größeren oder kleineren Tümpeln. Nur eine einzige Straße führte dahin, die aber auch im Winter einigermaßen befahrbar war. Dort müßte die Einsamkeit vollkommen sein. Eine Hölle mit zweitausend Teufeln, sagte Smerdow, aber ohne Schwänze – darum sind sie wild darauf.
    »Offiziell schlafen wir in der Halle II der Autowerkstatt«, beantwortete Chakimow Abukows Frage und blinzelte freudig.
    »Und wo ›inoffiziell‹?«
    »Auf der schönsten Matratze der Welt, Brüderchen. Weich und warm … und duftend. Ob du's glaubst oder nicht: Sie stellen sogar ihr eigenes Parfüm her. Aus Waldblüten und Kräutern. Wenn die sich damit den Körper einreiben, wirst du verrückt.«
    »Du auch?«
    »Ich lecke sie jedesmal ab, von oben bis unten. Eine hat wie Tannenhonig geschmeckt.«
    Abukow gab Gas, als der Wagen vor ihm anfuhr, und rollte ihm nach. Unwillkürlich mußte er an Larissa Dawidowna denken, auch wenn er sich gegen das Gefühl wehrte, das ihn bei diesem Gedanken überkam. Die Erinnerung an ihren Anblick war nicht zu verwischen, obwohl er ihren nackten Körper nur aus den Augenwinkeln und für den Bruchteil einer Sekunde gesehen hatte. Wie eingebrannt in ihn war das Bild des glänzenden Leibs auf den Dielen, und dazu ihre helle, kindliche Stimme mit den grauenhaftesten Worten, die Abukow je gehört hatte: Tausend Seelen sind verloren, wenn du nicht zu mir kommst!
    Und er war geflüchtet.
    Jetzt hat sie die Selektion im Lager beendet, dachte er. Jetzt ist entschieden, ob sie ihre schreckliche Drohung wahrgemacht hat und Rache nahm, weil ein Priester seinem Keuschheitsgelübde treu geblieben ist.
    Abukow beugte sich über das große Lenkrad, seine Augen brannten, er orientierte sich nur an der Rückwand des voranfahrenden Wagens und sah nicht, wohin er fuhr. Neben ihm begann Chakimow fröhlich zu pfeifen, als sie Surgut verlassen hatten und eintauchten in die Wälder nördlich des Ob. Später sang er sogar mit einem hellen Tenor, der sehr gut klang. Es waren Lieder seiner usbekischen Heimat, in denen immer wieder die Steppe wiederkehrte, der heiße Wind von den südlichen Wüsten und das Schnauben der Pferdeherden aus den grenzenlosen Weiten.
    Safar Witaliwitsch war einer der wenigen, die sich freuten, nach Tetu-Marmontoyai zu kommen, zu den zweitausend höllischen Weibern.
    »Stimmt es, was man da erzählt?« fragte er nach einiger Zeit, als Abukow keine Anstalten machte, gesprächiger zu werden oder wenigstens mitzusingen. Der Weg in den nördlichen Wald- und Sumpfbezirk war weit. Solange die Straße noch so gut war, kam man schnell voran, aber nach der Brücke über den Fluß Agan kam man auf eine Route, die der Taiga mühevoll abgerungen war; man mußte oft im Schritt fahren, um bei den tiefen Unebenheiten nicht umzukippen. Im Winter war das einfacher, da war alles glatt und gefroren, sauber wie eine Asphaltstraße, und man mahlte sich durch den Schnee mit einem gewissen Gefühl der Sicherheit. Das hier war ein

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