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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sie arbeiteten in den Gemüsebeeten, die der Kommandant hatte anlegen lassen, um Spinat zu züchten und einen armseligen, krüppeligen Blumenkohl. Viele kamen auch von den Werkstätten herübergelaufen, ölverschmiert, dreckig, in sackähnlichen Gewändern – aber es waren jedenfalls Frauen, und Chakimow schnalzte mit der Zunge, stieß Abukow in die Seite und rollte mit seinen Schlitzaugen.
    »Paß auf, Victor Juwanowitsch«, sagte er mit flatternder, erregter Stimme. »Paß auf beim Aussteigen. Die greifen dir sofort zwischen die Beine, blitzschnell, wie wenn ein Chamäleon die Zunge vorschnellen läßt.«
    »Ich bleibe hier sitzen!« Abukow starrte durch die Scheibe auf die Frauen, die um seinen Wagen herumstanden wie hungrige Raubtiere. Genauso fühlte er sich: belagert von Raubkatzen, die darauf warteten, daß er seinen sicheren Führerstand verließ. Sie winkten ihm zu, lachten, klopften gegen die Karosserie und die Fenster, riefen ihm etwas zu, was er nicht verstand, und eine Frau hob ihren Kittel, zeigte ihm ihren blanken Unterleib, riß dann die Bluse auf und ließ ihre kräftigen Brüste hin und her pendeln. Die anderen Frauen kreischten vor Vergnügen.
    »Sie kennen dich nicht«, stotterte Chakimow und legte seine Hände wie schützend über seinen Schoß. »Du lieber Himmel, hat die ein Geläut …«
    »Ist denn keine Bewachung hier?« fragte Abukow betroffen. »Da sollen wir hinaus?«
    Von den beiden doppelstöckigen Steinbauten gegenüber, die als Kaserne der Wachkompanie dienten, kamen jetzt zehn Rotarmisten mit langen Lederpeitschen. Sie ließen die Schnüre durch die Luft knallen. Die Frauen kreischten hell und stoben auseinander, verteilten sich nach allen Seiten und stellten sich an den Hauswänden auf.
    »Wie in einem riesigen Raubtierkäfig«, sagte Abukow mit heiserer Stimme. »Genau so.«
    »Anders geht es nicht.« Safar Witaliwitsch öffnete jetzt die Kabinentür und sprang auf die Straße. Die Rotarmisten bildeten vor den Lastwagen eine Kette, die Peitschen schlagbereit. Von den Frauen flogen Schimpfworte herüber, Fäuste drohten, einige hatten ihre Blusen ausgezogen und stemmten mit den Händen ihre Brüste empor. Hurensöhne und Tripperböcke waren noch die mildesten Ausdrücke, die Abukow aus dem Stimmengewirr heraushören konnte.
    »Man könnte sie erschießen, ohne daß es sie aufregen würde«, sagte Chakimow und wischte sich den Schweiß vom gelben Gesicht. Es mußten mindestens 35 Grad Hitze sein, die Luft war dick und wie ein flimmernder Vorhang. »Aber die Peitsche … das ertragen sie nicht. Die Lederschnur zerstört ihre Schönheit. Auch als vergessene Sträflinge hier in Sibirien sind sie immer noch eitel und bleiben es.«
    Oberst Kabulbekow trat jetzt aus der Kommandantur, wie immer in Reithosen und Stiefeln und stolz auf seine Reiterbeine. Er begrüßte den Transportführer, überblickte die zehn Lastwagen, erkannte als letzten den Kühlwagen Nummer 11 und kam zu Abukow und Chakimow.
    Safar Witaliwitsch stand sofort stramm und legte die Hand an die schweißnasse Stirn. Er kannte den Kommandanten ja gut und wußte, wie er solche Demonstrationen schätzte. Abukow blieb an die Karosserie seines Wagens gelehnt und blickte Kabulbekow erwartungsvoll an.
    »Sie sind zum erstenmal hier?« fragte der Oberst und musterte Abukow scharf. »Den Kühlwagen fahren Sie! Eine Vertrauenssache!«
    »Es muß wohl so sein, Genosse Oberst«, erwiderte Abukow vorsichtig.
    »Haben Sie uns gute Sachen mitgebracht?«
    »Alles, wovon man in Moskau oder Nowgorod nur träumt.«
    »So ist es richtig!« Kabulbekow lachte etwas schrill. »Das gehört sich so, wenn man in Sibirien ist. In einer Stadt kann jeder leben, aber hier, das ist eine Auszeichnung. Eines guten Lohnes ist das wert!«
    Er warf einen Blick auf den großen Kühlaufbau des Wagens, schnalzte mit der Zunge, als rieche er schon ein gebratenes Huhn oder einen saftigen Schweinebraten, und ging zurück zur Kommandantur. Chakimow wartete, bis er außer Hörweite war, und stieß dann Abukow in die Rippen.
    »Hast du das begriffen?« flüsterte er.
    »Was?«
    »Mit einem Zaunpfahl hat er gewunken.«
    »Mit einem Zaunpfahl?«
    »Victor Juwanowitsch, sei kein kleiner Idiot. Kabulbekow weiß genau, wie leicht man sich bei einem ganzen Wagen voll Hühner und Fleisch verzählen kann.«
    »Kabulbekow auch?« Abukow stieß sich vom Wagen ab und ging hinüber zu den anderen Fahrern, die sich beim Wagen 2 versammelten. »Er sieht so anständig aus

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