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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Winterland, deshalb wurden die kurzen Sommer oft mehr verflucht als der klirrende Frost. Wir werden glatt zehn Stunden fahren, dachte Abukow. Wer das dreimal in der Woche macht – wie es manchmal vorkam –, der hat bald Hornhaut auf dem Hintern.
    »Was erzählt man?« fragte Abukow, als Chakimow eine Pause einlegte.
    »Von dir! Du willst ein Theater gründen?«
    »Ja. Bis auf den Genossen Kommandant sind alle begeistert. Sogar Kommissar Jachjajew. Das will was heißen!«
    »Gratuliere, Victor Juwanowitsch. Man sieht's wieder: Keine Idee ist zu verrückt, um nicht Wahrheit zu werden. Sogar der Bolschewismus …«
    Abukow hütete sich, darauf zu antworten. Er kannte Chakimow noch nicht lange genug, war ihm nur zweimal im Vorübergehen begegnet und jetzt zum erstenmal mit ihm zusammen. So kann man einen prüfen, dachte Abukow. Vorsicht, mein Lieber. Er war von dem hier üblichen Verhalten, bei politischen Fragen immer wachsam zu sein, bereits angesteckt. So sah er Chakimow nur kurz an und blickte dann wieder auf die Straße. Erwarte keine Antwort, mein lieber Safar Witaliwitsch: Über Bolschewismus kannst du mit mir nicht diskutieren.
    »Nächste Woche fliege ich nach Tjumen zum Kulturbeauftragten der Region«, sagte er statt dessen. »Er muß alles genehmigen.«
    »Es wird also etwas?« rief Chakimow erfreut.
    »Sicherlich. Ich bin ein zäher Bursche.«
    »Braucht ihr einen Tenor? Ich möchte mitspielen. Ist das möglich?«
    »Ich höre mir deine Stimme an, wenn alles genehmigt ist«, sagte Abukow ausweichend. Man muß ihn beobachten, dachte er dabei. Scharf beobachten. Mein lieber Safar Witaliwitsch, so leicht ist es bei mir nicht, als Spion einzusickern. Ich weiß es ja gut genug, wie man so etwas macht.
    Nach fünf Stunden wurde eine Mittagsrast eingelegt. Die zwanzig Fahrer entzündeten ein Feuer, wärmten in einem Aluminiumkessel eine Linsensuppe aus Dosen auf und verzehrten dazu jeder ein halbes frisches Brot aus dem Wagen 3, der randvoll mit duftenden Laiben gefüllt war. Man hockte neben der Straße, lehnte sich gegen die dicken Fichtenstämme und rauchte zum Nachtisch eine Papyrossi. Abukow lag im halbhohen Farn und starrte in den weißblauen, heißen Himmel.
    Larissa, dachte er und war unfähig, etwas anderes zu denken. Larissa Dawidowna, es war ein Fehler, wegzulaufen. Hab Mitleid mit mir und schick die Männer nicht in den Tod. Bitte, hab Mitleid.
    Im Gegensatz zu dem Straflager JaZ 451/1 der Männer war das Frauenlager Tetu-Marmontoyai nicht durch drei Sperrgürtel gesichert und von der übrigen Welt abgeschlossen.
    Das war auch nicht nötig. Frauen entscheiden sich weniger leicht zur Flucht als Männer, und außerdem war es fast unmöglich, daß eine Frau ein Gebiet überwinden konnte, das im Umkreis von 500 Werst nur aus Sümpfen und Urwäldern bestand. Im Norden ging es in die baumlose, flache, allen Witterungen schutzlos ausgesetzte Tundra über. Nach Westen, Osten und Süden war nichts als unendliche Taiga, waren wilde, ungezähmte Ströme, Tausende von Seen, unzählige Wasserläufe, steinige Schluchten und ein völlig menschenleeres Land. Als Flüchtender darin zu überleben hätte bedeutet, härter zu sein als die undurchdringliche Rinde der frostgestählten Bäume.
    Wenn man die Winterroute, die nahe an der Tundragrenze hinauf zum Pyakayo-See führt, in Richtung Nordosten verläßt und eine schmale, in den Wald geschlagene Straße weiterfährt, von der man glaubt, sie müsse im Nichts enden, öffnet sich plötzlich die einsame Gegend, und staunend sieht man ein gewaltiges gerodetes Gebiet, auf dessen Grundfläche eine ganze Mittelstadt Platz hätte. Hier hatten Sträflingsbrigaden monatelang in Zehn-Stunden-Arbeitstagen das Feld aus dem Urwald geschlagen, hatten die dazwischen liegenden Sumpfniederungen trockengelegt, Drainagen gezogen, Abflußgräben gegraben und Versorgungsleitungen verlegt. Es gab ein eigenes Wasserpumpwerk und eine eigene Stromaggregatstation. Ein mit Öl betriebenes Heizwerk – die großen Öltanks lagerten am Rand des Kahlschlags – war nur ein Provisorium. Pläne lagen vor, Tetu-Marmontoyai an die Elektrizität von Surgut anzuschließen. Es gab sogar schon die Genehmigung aus Moskau, aber es fehlten noch die Hochmasten für die Leitungen und die Zwischentrafo-Stationen.
    Man kam also aus dem dichten Wald heraus und sah plötzlich einen Gebäudekomplex mit drei hohen Schornsteinen, mit flachen, langen Lagerhallen, zweistöckigen Steinhäusern, hölzernen Baracken,

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